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nicht, und schon spürte ich ein grausames Ziehen in meinen Gliedern, es riß
mich magisch irgendwohin, und ich wußte, wohin es mich trieb: ich wollte
den Sieg sehen, ihn spüren, ihn fassen, Geld, viel Geld, blaue knisternde
Scheine in den Fingern spüren und dies Rieseln die Nerven hinauf. Eine ganz
fremde böse Lust hatte sich meiner bemächtigt, und keine Scham wehrte
mehr, ihr nachzugeben. Und kaum daß ich mich erhob, so eilte, so lief ich
schon bis hin zur Kasse, ganz brüsk, mit gespreizten Ellenbogen stieß ich
mich zwischen die Wartenden am Schalter, schob ungeduldig Leute beiseite,
nur um das Geld, das Geld leibhaftig zu sehn. »Flegel!« murrte hinter mir
einer der Weggedrängten; ich hörte es, aber ich dachte nicht daran, ihn zu
fordern, ich bebte ja vor unbegreiflicher, krankhafter Ungeduld. Endlich war
die Reihe an mir, meine Hände faßten gierig ein blaues Bündel Banknoten.
Ich zählte zitternd und begeistert zugleich. Es waren sechshundertundvierzig
Kronen.
Heiß riß ich sie an mich. Mein nächster Gedanke war: jetzt weiter spielen,
mehr gewinnen, viel mehr. Wo hatte ich nur meine Rennzeitung? Ach,
weggeworfen in der Erregung! Ich sah um mich, eine neue zu erstehen. Da
bemerkte ich zu meinem namenlosen Erschrecken, wie plötzlich alles rings
auseinanderflutete, dem Ausgang zu, daß die Kassen sich schlossen, die
flatternde Fahne sank. Das Spiel war zu Ende. Es war das letzte Rennen
gewesen. Eine Sekunde lang stand ich starr. Dann sprang ein Zorn in mir auf,
als sei mir ein Unrecht geschehen. Ich konnte mich nicht damit abfinden, daß
jetzt, da alle meine Nerven sich spannten und bebten, das Blut so heiß wie seit
Jahren nicht mehr in mir rollte, alles zu Ende sein sollte. Aber es half nichts,
mit trügerischem Wunsch die Hoffnung künstlich zu nähren, dies sei nur ein
Irrtum gewesen, denn immer rascher entflutete das bunte Gedränge, schon
glänzte grün der zertretene Rasen zwischen den vereinzelt Gebliebenen.
Allmählich empfand ich das Lächerliche meines gespannten Verweilens, so
nahm ich den Hut – den Stock hatte ich offenbar am Tourniquet in der
Erregung stehengelassen – und ging dem Ausgang zu. Ein Diener mit servil
gelüfteter Kappe sprang mir entgegen, ich nannte ihm die Nummer meines
Wagens, er schrie sie mit gehöhlter Hand über den Platz, und schon
klapperten scharf die Pferde heran. Ich bedeutete dem Kutscher, langsam die
Hauptallee hinabzufahren. Denn gerade jetzt, wo die Erregung wohlig
abzuklingen begann, fühlte ich eine lüsterne Neigung, mir noch einmal die
ganze Szene in Gedanken zu erneuern.
In diesem Augenblick fuhr ein anderer Wagen vor; unwillkürlich blickte
ich hin, um sofort wieder ganz bewußt wegzusehen. Es war die Frau mit
ihrem behäbigen Gatten. Sie hatten mich nicht bemerkt. Aber sofort überkam
mich ein widerlich würgendes Gefühl, als sei ich ertappt. Und am liebsten
hätte ich dem Kutscher zugerufen, auf die Pferde einzuschlagen, nur um rasch
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik