Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Amok - Novellen einer Leidenschaft
Seite - 98 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 98 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

Bild der Seite - 98 -

Bild der Seite - 98 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

Text der Seite - 98 -

heran. Eines nach dem andern losch in den Buden das Licht und immer stürzte dann wie eine steigende Flut das Dunkel vor, schluckte den lichten Fleck auf dem Rasen ein: immer einsamer war die helle Insel, auf der ich stand, und schon sah ich zitternd auf die Uhr. Eine Viertelstunde noch, dann würden die scheckigen Holzpferde stillestehn, die roten und grünen Glühlampen aus ihren einfältigen Stirnen abknipsen, das geblähte Orchestrion aufhören zu stampfen. Dann würde ich ganz im Dunkel sein, ganz allein hier ln der leise rauschenden Nacht, ganz ausgestoßen, ganz verlassen. Immer unruhiger blickte ich über den dämmernden Platz, über den nur ganz selten mehr ein heimkehrendes Pärchen eilig strich oder ein paar Burschen betrunken hintaumelten: quer drüben aber in den Schatten zitterte noch verstecktes Leben, unruhig und aufreizend. Manchmal pfiff oder schnalzte es leise, wenn ein paar Männer vorüberkamen. Und bogen sie dann, gelockt von dem Anruf, hin zum Dunkel, so zischelten in den Schatten Frauenstimmen, und manchmal warf der Wind abgerissene Fetzen grellen Lachens herüber. Und allmählich schob sichs um den Rand des Dunkels frecher hervor, gegen den Lichtkegel des erhellten Platzes, um sofort wieder in die Schwärze zurückzutauchen, sobald im Vorübergehen die Pickelhaube eines Schutzmannes im Reflex der Laterne schimmerte. Aber kaum daß er weiterging auf seiner Runde, waren die gespenstigen Schatten wieder da, und jetzt konnte ich sie schon deutlich im Umriß sehen, so nahe wagten sie sich ans Licht, der letzte Abhub jener nächtigen Welt, der Schlamm, der zurückblieb, nun da sich der flüssige Menschenstrom verlaufen: ein paar Dirnen, jene ärmsten und ausgestoßensten, die keine eigene Bettstatt haben, tags auf einer Matratze schlafen und nachts ruhlos streifen, die ihren abgebrauchten, geschändeten, magern Körper jedem für ein kleines Silberstück hier irgendwo im Dunkel auftaten, umspürt von der Polizei, getrieben von Hunger oder irgendeinem Strolch, immer im Dunkel streifend, jagend und gejagt zugleich. Wie hungrige Hunde schnupperten sie allmählich vor zu dem erhellten Platz nach irgend etwas Männlichem, nach einem vergessenen Nachzügler, dem sie seine Lust ablocken könnten für eine Krone oder zwei, um sich dann einen Glühwein zu kaufen in einem Volkskaffee und den trüb flackernden Stumpf Leben sich zu erhalten, der ja ohnehin bald auslöscht in einem Spital oder einem Gefängnis. Der Abhub war dies, die letzte Jauche von der hochgequollenen Sinnlichkeit der sonntäglichen Masse – mit einem grenzenlosen Grauen sah ich nun aus dem Dunkel diese hungrigen Gestalten geistern. Aber auch in diesem Grauen war noch eine magische Lust, denn selbst in diesem schmutzigsten Spiegel erkannte ich Vergessenes und dumpf Gefühltes wieder: hier war eine tiefe, sumpfige Welt, die ich vor Jahren längst durchschritten und die nun phosphoreszierend mir wieder in die Sinne funkelte. Seltsam, was diese phantastische Nacht mir plötzlich entgegenhielt, wie sie mich Verschlossenen plötzlich auffaltete, daß 98
zurück zum  Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
Weiteres Belletristik
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Amok