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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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eines herbstlichen Tages das Absurde meines Tuns selbst nicht ganz erklären: ich wußte, wußte sofort mit jeder Fiber meines Wesens, daß ich unnötig in eine Gefahr ging, aber wie ein seiner Wahnsinn rieselte mir das Vorgefühl durch die Nerven. Ich wußte ein Widerliches, vielleicht Tödliches voraus, ich zitterte vor Ekel, hier irgendwie in ein Verbrechen, in ein gemeines, schmutziges Erleben gedrängt zu sein, aber gerade für die nie gekannte, nie geahnte Lebenstrunkenheit, die mich betäubend überströmte, war selbst der Tod noch eine finstere Neugier. Etwas – war es Scham, die Furcht zu zeigen, oder eine Schwäche? – stieß mich vorwärts. Es reizte mich, in die letzte Kloake des Lebens hinabzusteigen, in einem einzigen Tage meine ganze Vergangenheit zu verspielen und zu verprassen, eine verwegene Wollust des Geistes mengte sich der gemeinen dieses Abenteuers. Und obwohl ich mit allen meinen Nerven die Gefahr witterte, sie mit meinen Sinnen, meinem Verstand klarsichtig begriff, ging ich trotzdem weiter hinein in das Gehölz am Arm dieser schmutzigen Praterdirne, die mich körperlich mehr abstieß als lockte und von der ich wußte, daß sie mich nur für ihre Spießgesellen herzog. Aber ich konnte nicht zurück. Die Schwerkraft des Verbrecherischen, die sich nachmittags im Abenteuer auf dem Rennplatze an mich gehangen, riß mich weiter und weiter hinab. Und ich spürte nur mehr die Betäubung, den wirbeligen Taumel des Sturzes in neue Tiefen hinab und vielleicht in die letzte: in den Tod. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. Wieder flog ihr Blick unsicher herum. Dann sah sie mich wartend an: »Na – und was schenkst du mir?« Ach so. Das hatte ich vergessen. Aber die Frage ernüchterte mich nicht. Im Gegenteil. Ich war ja so froh, schenken, geben, mich verschwenden zu dürfen. Hastig griff ich in die Tasche, schüttete alles Silber und ein paar zerknüllte Banknoten ihr in die aufgetane Hand. Und nun geschah etwas so Wunderbares, daß mir heute noch das Blut warm wird, wenn ich daran denke: entweder war diese arme Person überrascht von der Höhe der Summe – sie war sonst nur kleine Münze gewohnt für ihren schmutzigen Dienst –, oder in der Art meines Gebens, des freudigen, raschen, fast beglückten Gebens mußte etwas ihr Ungewohntes, etwas Neues sein, denn sie trat zurück, und durch das dicke, übelriechende Dunkel spürte ich, wie ihr Blick mit einem großen Erstaunen mich suchte. Und ich empfand endlich das lang Entbehrte dieses Abends: jemand fragte nach mir, jemand suchte mich, zum erstenmal lebte ich für irgend jemanden dieser Welt. Und daß gerade diese Ausgestoßenste, dieses Wesen, das ihren armen verbrauchten Körper durch die Dunkelheit wie eine Ware trug und die, ohne den Käufer auch nur anzusehen, sich an mich gedrängt, nun die Augen aufschlug zu den meinen, daß sie nach dem Menschen in mir fragte, das steigerte nur meine merkwürdige Trunkenheit, die hellsichtig war und taumelnd zugleich, 103
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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