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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Ich ging. Ich wehrte mich nicht, weil ich mich nicht wehren wollte: das Unerhörte, das Gemeine, das Gefährliche der Situation betäubte mich. Mein Gehirn blieb ganz wach; ich wußte, daß die Burschen die Polizei mehr fürchten mußten als ich, daß ich mich loskaufen konnte mit ein paar Kronen, – aber ich wollte ganz die Tiefe des Gräßlichen auskosten, ich genoß die grausige Erniedrigung der Situation in einer Art wissender Ohnmacht. Ohne Hast, ganz mechanisch ging ich in die Richtung, in die sie mich gestoßen hatten. Aber gerade das, daß ich so wortlos, so geduldig dem Licht zuging, schien die Burschen zu verwirren. Sie zischelten leise. Dann fingen sie wieder an, absichtlich laut miteinander zu reden. »Laß ihn laufen«, sagte der eine (ein pockennarbiger kleiner Kerl); aber der andere erwiderte, scheinbar streng: »Nein, das geht nicht. Wenn das ein armer Teufel tut wie wir, der nix zum Fressen hat, dann wird er eingelocht. Aber so ein feiner Herr da muß a Straf sein.« Und ich hörte jedes Wort und hörte darin ihre ungeschickte Bitte, ich möchte beginnen, mit ihnen zu verhandeln, der Verbrecher in mir verstand den Verbrecher in ihnen, verstand, daß sie mich quälen wollten mit Angst und ich sie quälte mit meiner Nachgiebigkeit. Es war ein stummer Kampf zwischen uns beiden, und – o wie reich war diese Nacht! – ich fühlte inmitten tödlicher Gefahr, hier mitten im stinkenden Dickicht der Praterwiese, zwischen Strolchen und einer Dirne, zum zweitenmal seit zwölf Stunden den rasenden Zauber des Spiels, nun aber um den höchsten Einsatz, um meine ganze bürgerliche Existenz, ja um mein Leben. Und ich gab mich diesem ungeheuren Spiel, der funkelnden Magie des Zufalls mit der ganzen gespannten, bis zum Zerreißen gespannten Kraft meiner zitternden Nerven hin. »Aha, dort ist schon der Wachmann,« sagte hinter mir die eine Stimme, »da wird er sich nicht zu freuen haben, der feine Herr, eine Wochen wird er schon sitzen.« Es sollte böse klingen und drohend, aber ich hörte die stockende Unsicherheit. Ruhig ging ich dem Lichtschein zu, wo tatsächlich die Pickelhaube eines Schutzmannes glänzte. Zwanzig Schritte noch, dann mußte ich vor ihm stehen. Hinter mir hatten die Burschen aufgehört zu reden; ich merkte, wie sie langsamer gingen; im nächsten Augenblick mußten sie, ich wußte es, feig zurücktauchen in das Dunkel, in ihre Welt, erbittert über den mißlungenen Streich, und ihren Zorn vielleicht an der Armseligen auslassen. Das Spiel war zu Ende: wiederum, zum zweitenmal, hatte ich heute gewonnen, wiederum einen andern fremden, unbekannten Menschen um seine böse Lust geprellt. Schon flackerte von drüben der bleiche Kreis der Laternen, und als ich mich jetzt umwandte, sah ich zum erstenmal in die Gesichter der beiden Burschen: Erbitterung war und eine geduckte Beschämung in ihren unsichern Augen. Sie blieben stehen in einer 105
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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