Seite - 107 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Schweigen gleichsam weicher zwischen uns stand.
Und da sagte ich endlich, endlich das Wort, nach dem sie so lange lechzten.
»Ich … ich gebe Ihnen … hundert Kronen.«
Alle drei fuhren auf und sahen sich an. So viel hatten sie nicht mehr
erwartet, jetzt, da doch alles für sie verloren war. Endlich faßte sich der eine,
der pockennarbige mit dem unruhigen Blick. Zweimal setzte er an. Es ging
ihm nicht aus der Kehle. Dann sagte er – und ich spürte, wie er sich schämte
dabei: »Zweihundert Kronen.«
»Aber hörts auf«, mengte sich jetzt plötzlich das Mädchen ein. »Ihr könnts
froh sein, wenn er euch überhaupt etwas gibt. Er hat ja gar nix getan, kaum
daß er mich angerührt hat. Das ist wirklich zu stark.«
Wirklich erbittert schrie sie’s ihnen entgegen. Und mir klang das Herz.
Jemand hatte Mitleid mit mir, jemand sprach für mich, aus dem Gemeinen
stieg Güte, irgendein dunkles Begehren nach Gerechtigkeit aus einer
Erpressung. Wie das wohltat, wie das Antwort gab auf den Aufschwall in mir!
Nein, nur jetzt nicht länger spielen mit den Menschen, nicht sie quälen in
ihrer Angst, in ihrer Scham: genug! genug!
»Gut, also zweihundert Kronen.«
Sie schwiegen alle drei. Ich nahm die Brieftasche heraus. Ganz langsam,
ganz offen bog ich sie auf in der Hand. Mit einem Griff hätten sie mir sie
wegreißen können und in das Dunkel hinein flüchten. Aber sie sahen scheu
weg. Es war zwischen ihnen und mir irgendein geheimes Gebundensein, nicht
mehr Kampf und Spiel, sondern ein Zustand des Rechts, des Vertrauens, eine
menschliche Beziehung. Ich blätterte die beiden Noten aus dem gestohlenen
pack und reichte sie dem einen hin.
»Danke schön«, sagte er unwillkürlich und wandte sich schon weg.
Offenbar spürte er selbst das Lächerliche, zu danken für ein erpreßtes Geld.
Er schämte sich, und diese seine Scham – oh, alles fühlte ich ja in dieser
Nacht, jede Geste schloß sich mir auf! – bedrückte mich. Ich wollte nicht, daß
sich ein Mensch vor mir schäme, vor mir, der ich seinesgleichen war, Dieb
wie er, schwach, feige und willenlos wie er. Seine Demütigung quälte mich,
und ich wollte sie ihm wegnehmen. So wehrte ich seinem Dank.
»Ich habe Ihnen zu danken«, sagte ich und wunderte mich selbst, wieviel
wahrhaftige Herzlichkeit aus meiner Stimme sprang. »Wenn Sie mich
angezeigt hätten, wäre ich verloren gewesen. Ich hätte mich erschießen
müssen, und Sie hätten nichts davon gehabt. Es ist besser so. Ich gehe jetzt da
rechts hinüber und Sie vielleicht dort auf die andere Seite. Gute Nacht.«
Sie schwiegen wieder einen Augenblick. Dann sagte der eine »Gute
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik