Seite - 116 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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drüben ein Ende haben. Dich selbst bekam ich, auch während der
Übersiedlung, noch nicht zu Gesicht: alle diese Arbeiten überwachte Dein
Diener, dieser kleine, ernste, grauhaarige Herrschaftsdiener, der alles mit
einer leisen, sachlichen Art von oben herab dirigierte. Er imponierte uns allen
sehr, erstens weil in unserem Vorstadthaus ein Herrschaftsdiener etwas ganz
Neuartiges war, und dann, weil er zu allen so ungemein höflich war, ohne sich
deshalb mit den Dienstboten auf eine Stufe zu stellen und in
kameradschaftliche Gespräche einzulassen. Meine Mutter grüßte er vom
ersten Tage an respektvoll als eine Dame, sogar zu mir Fratzen war er immer
zutraulich und ernst. Wenn er Deinen Namen nannte, so geschah das immer
mit einer gewissen Ehrfurcht, mit einem besonderen Respekt – man sah
gleich, daß er Dir weit über das Maß des gewohnten Dienens anhing. Und wie
habe ich ihn dafür geliebt, den guten, alten Johann, obwohl ich ihn beneidete,
daß er immer um Dich sein durfte und Dir dienen.
Ich erzähle Dir all das, Du Geliebter, all diese kleinen, fast lächerlichen
Dinge, damit Du verstehst, wie Du von Anfang an schon eine solche Macht
gewinnen konntest über das scheue, verschüchterte Kind, das ich war. Noch
ehe Du selbst in mein Leben getreten, war schon ein Nimbus um Dich, eine
Sphäre von Reichtum, Sonderbarkeit und Geheimnis – wir alle in dem kleinen
Vorstadthaus (Menschen, die ein enges Leben haben, sind ja immer neugierig
auf alles Neue vor ihren Türen) warteten schon ungeduldig auf Deinen
Einzug. Und diese Neugier nach Dir, wie steigerte sie sich erst bei mir, als ich
eines Nachmittags von der Schule nach Hause kam und der Möbelwagen vor
dem Hause stand. Das meiste, die schweren Stücke, hatten die Träger schon
hinaufbefördert, nun trug man einzeln kleinere Sachen hinauf; ich blieb an der
Tür stehen, um alles bestaunen zu können, denn alle Deine Dinge waren so
seltsam anders, wie ich sie nie gesehen; es gab da indische Götzen,
italienische Skulpturen, ganz grelle, große Bilder, und dann zum Schluß
kamen Bücher, so viele und so schöne, wie ich es nie für möglich gehalten.
An der Tür wurden sie alle aufgeschichtet, dort übernahm sie der Diener und
schlug mit Stock und Wedel sorgfältig den Staub aus jedem einzelnen. Ich
schlich neugierig um den immer wachsenden Stoß herum, der Diener wies
mich nicht weg, aber er ermutigte mich auch nicht; so wagte ich keines
anzurühren, obwohl ich das weiche Leder von manchen gern befühlt hätte.
Nur die Titel sah ich scheu von der Seite an: es waren französische, englische
darunter und manche in Sprachen, die ich nicht verstand. Ich glaube, ich hätte
sie stundenlang alle angesehen: da rief mich die Mutter hinein.
Den ganzen Abend dann mußte ich an Dich denken; noch ehe ich Dich
kannte. Ich besaß selbst nur ein Dutzend billige, in zerschlissene Pappe
gebundene Bücher, die ich über alles liebte und immer wieder las. Und nun
bedrängte mich dies, wie der Mensch sein müßte, der all diese vielen
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik