Seite - 122 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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ich die Mutter dem Stiefvater leise erzählen, der hinter der Tür gewartet hatte,
plötzlich mit aufgespreizten Händen zurückgefahren und dann hingestürzt wie
ein Klumpen Blei. Was dann in den nächsten Tagen geschah, wie ich mich,
ein machtloses Kind, wehrte gegen ihren übermächtigen Willen, das kann ich
Dir nicht schildern: noch jetzt zittert mir, da ich daran denke, die Hand im
Schreiben. Mein wirkliches Geheimnis konnte ich nicht verraten, so schien
meine Gegenwehr bloß Starrsinn, Bosheit und Trotz. Niemand sprach mehr
mit mir, alles geschah hinterrücks. Man nutzte die Stunden, da ich in der
Schule war, um die Übersiedlung zu fördern: kam ich dann nach Hause, so
war immer wieder ein anderes Stück verräumt oder verkauft. Ich sah, wie die
Wohnung und damit mein Leben verfiel, und einmal, als ich zum Mittagessen
kam, waren die Möbelpacker dagewesen und hatten alles weggeschleppt. In
den leeren Zimmern standen die gepackten Koffer und zwei Feldbetten für die
Mutter und mich: da sollten wir noch eine Nacht schlafen, die letzte, und
morgen nach Innsbruck reisen.
An diesem letzten Tage fühlte ich mit plötzlicher Entschlossenheit, daß ich
nicht leben konnte ohne Deine Nähe. Ich wußte keine andere Rettung als
Dich. Wie ich mirs dachte und ob ich überhaupt klar in diesen Stunden der
Verzweiflung zu denken vermochte, das werde ich nie sagen können, aber
plötzlich – die Mutter war fort – stand ich auf im Schulkleid, wie ich war, und
ging hinüber zu Dir. Nein, ich ging nicht: es stieß mich mit steifen Beinen,
mit zitternden Gelenken magnetisch fort zu Deiner Tür. Ich sagte Dir schon,
ich wußte nicht deutlich, was ich wollte: Dir zu Füßen fallen und dich bitten,
mich zu behalten als Magd, als Sklavin, und ich fürchte, Du wirst lächeln
über diesen unschuldigen Fanatismus einer Fünfzehnjährigen, aber, –
Geliebter, du würdest nicht mehr lächeln, wüßtest Du, wie ich damals draußen
im eiskalten Gange stand, starr vor Angst und doch vorwärts gestoßen von
einer unfaßbaren Macht, und wie ich den Arm, den zitternden, mir
gewissermaßen vom Leib losriß, daß er sich hob und – es war ein Kampf
durch die Ewigkeit entsetzlicher Sekunden – den Finger auf den Knopf der
Türklinke drückte. Noch heute gellts mir im Ohr, dies schrille Klingelzeichen,
und dann die Stille danach, wo mir das Herz stillstand, wo mein ganzes Blut
anhielt und nur lauschte, ob Du kämest.
Aber Du kamst nicht. Niemand kam. Du warst offenbar fort an jenem
Nachmittage und Johann auf Besorgung; so tappte ich, den toten Ton der
Klingel im dröhnenden Ohr, in unsere zerstörte, ausgeräumte Wohnung
zurück und warf mich erschöpft auf einen Plaid, müde von den vier Schritten,
als ob ich stundenlang durch tiefen Schnee gegangen sei. Aber unter dieser
Erschöpfung glühte noch unverlöscht die Entschlossenheit, Dich zu sehen,
Dich zu sprechen, ehe sie mich wegrissen. Es war, ich schwöre es Dir, kein
sinnlicher Gedanke dabei, ich war noch unwissend, eben weil ich an nichts
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik