Seite - 125 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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mit meinem Körper, mit meinen wacheren Sinnen, glühender, körperlicher,
frauenhafter. Und was das Kind in seinem dumpfen unbelehrten Willen, das
Kind, das damals die Klingel Deiner Türe zog, nicht ahnen konnte, das war
jetzt mein einziger Gedanke: mich Dir zu schenken, mich Dir hinzugeben.
Die Menschen um mich vermeinten mich scheu, nannten mich schüchtern
(ich hatte mein Geheimnis verbissen hinter den Zähnen). Aber in mir wuchs
ein eiserner Wille. Mein ganzes Denken und Trachten war in eine Richtung
gespannt: zurück nach Wien, zurück zu Dir. Und ich erzwang meinen Willen,
so unsinnig, so unbegreiflich er den andern scheinen mochte. Mein Stiefvater
war vermögend, er betrachtete mich als sein eigenes Kind. Aber ich drang in
erbittertem Starrsinn darauf, ich wolle mir mein Geld selbst verdienen und
erreichte es endlich, daß ich in Wien zu einem Verwandten als Angestellte
eines großen Konfektionsgeschäftes kam.
Muß ich Dir sagen, wohin mein erster Weg ging, als ich an einem nebligen
Herbstabend – endlich! endlich! – in Wien ankam? Ich ließ die Koffer an der
Bahn, stürzte mich in eine Straßenbahn – wie langsam schien sie mir zu
fahren, jede Haltestelle erbitterte mich – und lief vor das Haus. Deine Fenster
waren erleuchtet, mein ganzes Herz klang. Nun erst lebte die Stadt, die mich
so fremd, so sinnlos umbraust hatte, nun erst lebte ich wieder, da ich Dich
nahe ahnte, Dich, meinen ewigen Traum. Ich ahnte ja nicht, daß ich in
Wirklichkeit Deinem Bewußtsein ebenso ferne war hinter Tälern, Bergen und
Flüssen als nun, da nur die dünne leuchtende Glasscheibe Deines Fensters
zwischen Dir war und meinem aufstrahlenden Blick. Ich sah nur empor und
empor: da war Licht, da war das Haus, da warst Du, da war meine Welt. Zwei
Jahre hatte ich von dieser Stunde geträumt, nun war sie mir geschenkt. Ich
stand den langen, weichen, verhangenen Abend vor Deinen Fenstern, bis das
Licht erlosch. Dann suchte ich erst mein Heim.
Jeden Abend stand ich dann so vor Deinem Haus. Bis sechs Uhr hatte ich
Dienst im Geschäft, harten, anstrengenden Dienst, aber er war mir lieb, denn
diese Unruhe ließ mich die eigene nicht so schmerzhaft fühlen. Und
geradeswegs, sobald die eisernen Rollbalken hinter mir niederdröhnten, lief
ich zu dem geliebten Ziel. Nur Dich einmal sehen, nur einmal Dir begegnen,
das war mein einziger Wille, nur wieder einmal mit dem Blick Dein Gesicht
umfassen dürfen von ferne. Etwa nach einer Woche geschahs dann endlich,
daß ich Dir begegnete, und zwar gerade in einem Augenblick, wo ichs nicht
vermutete: während ich eben hinauf zu Deinen Fenstern spähte; kamst Du
quer über die Straße. Und plötzlich war ich wieder das Kind, das
dreizehnjährige, ich fühlte, wie das Blut mir in die Wangen schoß;
unwillkürlich, wider meinen innersten Drang, der sich sehnte, Deine Augen
zu fühlen, senkte ich den Kopf und lief blitzschnell wie gehetzt an Dir vorbei.
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik