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Nachher schämte ich mich dieser schulmädelhaften scheuen Flucht, denn jetzt
war mein Wille mir doch klar: ich wollte Dir ja begegnen, ich suchte Dich,
ich wollte von Dir erkannt sein nach all den sehnsüchtig verdämmerten
Jahren, wollte von Dir beachtet, wollte von Dir geliebt sein.
Aber Du bemerktest mich lange nicht, obzwar ich jeden Abend, auch bei
Schneegestöber und in dem scharfen, schneidenden Wiener Wind in Deiner
Gasse stand. Oft wartete ich stundenlang vergebens, oft gingst Du dann
endlich vom Hause in Begleitung von Bekannten fort, zweimal sah ich Dich
auch mit Frauen, und nun empfand ich mein Erwachsensein, empfand das
Neue, Andere meines Gefühls zu Dir an dem plötzlichen Herzzucken, das mir
quer die Seele zerriß, als ich eine fremde Frau so sicher Arm in Arm mit Dir
hingehen sah. Ich war nicht überrascht, ich kannte ja diese Deine ewigen
Besucherinnen aus meinen Kindertagen schon, aber jetzt tat es mit einmal
irgendwie körperlich weh, etwas spannte sich in mir, gleichzeitig feindlich
und mitverlangend gegen diese offensichtliche, diese fleischliche Vertrautheit
mit einer anderen. Einen Tag blieb ich, kindlich stolz wie ich war und
vielleicht jetzt noch geblieben bin, von Deinem Hause weg: aber wie
entsetzlich war dieser leere Abend des Trotzes und der Auflehnung. Am
nächsten Abend stand ich schon wieder demütig vor Deinem Hause wartend,
wartend, wie ich mein ganzes Schicksal lang vor Deinem verschlossenen
Leben gestanden bin.
Und endlich, an einem Abend bemerktest Du mich. Ich hatte Dich schon
von ferne kommen sehen und straffte meinen Willen zusammen, Dir nicht
auszuweichen. Der Zufall wollte, daß durch einen abzuladenden Wagen die
Straße verengert war und Du ganz an mir vorbei mußtest. Unwillkürlich
streifte mich Dein zerstreuter Blick, um sofort, kaum daß er der
Aufmerksamkeit des meinen begegnete – wie erschrak die Erinnerung in mir!
– jener Dein Frauenblick, jener zärtliche, hüllende und gleichzeitig
enthüllende, jener umfangende und schon fassende Blick zu werden, der
mich, das Kind, zum erstenmal zur Frau, zur Liebenden erweckt. Ein, zwei
Sekunden lang hielt dieser Blick so den meinen, der sich nicht wegreißen
konnte und wollte, – dann warst Du an mir vorbei. Mir schlug das Herz:
unwillkürlich mußte ich meinen Schritt verlangsamen, und wie ich aus einer
nicht zu bezwingenden Neugier mich umwandte, sah ich, daß Du
stehengeblieben warst und mir nachsahst. Und an der Art, wie Du neugierig
interessiert mich beobachtetest, wußte ich sofort: Du erkanntest mich nicht.
Du erkanntest mich nicht, damals nicht, nie, nie hast Du mich erkannt. Wie
soll ich Dir, Geliebter, die Enttäuschung jener Sekunde schildern – damals
war es ja das erstemal, daß ichs erlitt, dies Schicksal, von Dir nicht erkannt zu
sein, das ich ein Leben durchlebt habe, und mit dem ich sterbe; unerkannt,
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik