Seite - 128 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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mir, schon fürchtete ich stehenbleiben zu müssen, so hämmerte mir das Herz
– da tratest Du an meine Seite. Du sprachst mich an mit Deiner leichten
heitern Art, als wären wir lange befreundet – ach, Du ahntest mich ja nicht,
nie hast Du etwas von meinem Leben geahnt! – so zauberhaft unbefangen
sprachst Du mich an, daß ich Dir sogar zu antworten vermochte. Wir gingen
zusammen die ganze Gasse entlang. Dann fragtest Du mich, ob wir
gemeinsam speisen wollten. Ich sagte ja. Was hätte ich Dir gewagt zu
verneinen?
Wir speisten zusammen in einem kleinen Restaurant – weißt Du noch, wo
es war? Ach nein, Du unterscheidest es gewiß nicht mehr von andern solchen
Abenden, denn wer war ich Dir? Eine unter Hunderten, ein Abenteuer in einer
ewig fortgeknüpften Kette. Was sollte Dich auch an mich erinnern: ich sprach
ja wenig, weil es mir so unendlich beglückend war, Dich nahe zu haben, Dich
zu mir sprechen zu hören. Keinen Augenblick davon wollte ich durch eine
Frage, durch ein törichtes Wort vergeuden. Nie werde ich Dir von dieser
Stunde dankbar vergessen, wie voll Du meine leidenschaftliche Ehrfurcht
erfülltest, wie zart, wie leicht, wie taktvoll Du warst, ganz ohne
Zudringlichkeit, ganz ohne jene eiligen karessanten Zärtlichkeiten, und vom
ersten Augenblick von einer so sicheren freundschaftlichen Vertrautheit, daß
Du mich auch gewonnen hättest, wäre ich nicht schon längst mit meinem
ganzen Willen und Wesen Dein gewesen. Ach, Du weißt ja nicht, ein wie
Ungeheures Du erfülltest, indem Du mir fünf Jahre kindischer Erwartung
nicht enttäuschtest! Es wurde spät, wir brachen auf. An der Tür des
Restaurants fragtest Du mich, ob ich eilig wäre oder noch Zeit hätte. Wie
hätte ichs verschweigen können, daß ich Dir bereit sei! Ich sagte, ich hätte
noch Zeit. Dann fragtest Du, ein leises Zögern rasch überspringend, ob ich
nicht noch ein wenig zu Dir kommen wollte, um zu plaudern. »Gerne«, sagte
ich ganz aus der Selbstverständlichkeit meines Fühlens heraus und merkte
sofort, daß Du von der Raschheit meiner Zusage irgendwie peinlich oder
freudig berührt warst, jedenfalls aber sichtlich überrascht. Heute verstehe ich
ja dies Dein Erstaunen; ich weiß, es ist bei Frauen üblich, auch wenn das
Verlangen nach Hingabe in einer brennend ist, diese Bereitschaft zu
verleugnen, ein Erschrecken vorzutäuschen oder eine Entrüstung, die durch
eindringliche Bitte, durch Lügen, Schwüre und Versprechen erst
beschwichtigt sein will. Ich weiß, daß vielleicht nur die professionellen der
Liebe, die Dirnen, eine solche Einladung mit einer so vollen freudigen
Zustimmung beantworten, oder ganz naive, ganz halbwüchsige Kinder. In mir
aber war es – und wie konntest Du das ahnen – nur der wortgewordene Wille,
die geballt vorbrechende Sehnsucht von tausend einzelnen Tagen. Jedenfalls
aber: Du warst frappiert, ich begann Dich zu interessieren. Ich spürte, daß Du,
während wir gingen, von der Seite her während des Gespräches mich
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik