Seite - 130 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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auftat im Dunkeln und Dich fühlte an meiner Seite, wunderte ich mich, daß
nicht die Sterne über mir waren, so sehr fühlte ich Himmel – nein, ich habe
niemals bereut, mein Geliebter, niemals um dieser Stunde willen. Ich weiß
noch: als Du schliefst, als ich Deinen Atem hörte, Deinen Körper fühlte und
mich selbst Dir so nah, da habe ich im Dunkeln geweint vor Glück.
Am Morgen drängte ich frühzeitig schon fort. Ich mußte in das Geschäft
und wollte auch gehen, ehe der Diener käme: er sollte mich nicht sehen. Als
ich angezogen vor Dir stand, nahmst Du mich in den Arm, sahst mich lange
an; war es ein Erinnern, dunkel und fern, das in Dir wogte, oder schien ich
Dir nur schön, beglückt, wie ich war? Dann küßtest Du mich auf den Mund.
Ich machte mich leise los und wollte gehen. Da fragtest Du: »Willst Du nicht
ein paar Blumen mitnehmen?« Ich sagte ja. Du nahmst vier weiße Rosen aus
der blauen Kristallvase am Schreibtisch (ach, ich kannte sie von jenem
einzigen diebischen Kindheitsblick) und gabst sie mir. Tagelang habe ich sie
noch geküßt.
Wir hatten zuvor einen andern Abend verabredet. Ich kam, und wieder war
es wunderbar. Noch eine dritte Nacht hast Du mir geschenkt. Dann sagtest
Du, Du müßtest verreisen, – oh, wie haßte ich diese Reisen von meiner
Kindheit Her! – und versprachst mir, mich sofort nach Deiner Rückkehr zu
verständigen. Ich gab Dir eine Poste restante-Adresse – meinen Namen wollte
ich Dir nicht sagen. Ich hütete mein Geheimnis. Wieder gabst Du mir ein paar
Rosen zum Abschied – zum Abschied.
Jeden Tag während zweier Monate fragte ich … aber nein, wozu diese
Höllenqual der Erwartung, der Verzweiflung Dir schildern. Ich klage Dich
nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist, heiß und vergeßlich, hingebend
und untreu, ich liebe Dich so, nur so, wie Du immer gewesen und wie Du
jetzt noch bist. Du warst längst zurück, ich sah es an Deinen erleuchteten
Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Keine Zeile habe ich von Dir in
meinen letzten Stunden, keine Zeile von Dir, dem ich mein Leben gegeben.
Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine Verzweifelte. Aber Du hast
mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir geschrieben … keine Zeile …
*
Mein Kind ist gestern gestorben – es war auch Dein Kind. Es war auch
Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei Nächte, ich schwöre es Dir,
und man lügt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich schwöre es
Dir, denn kein Mann hat mich berührt von jenen Stunden, da ich mich Dir
hingegeben, bis zu jenen andern, da es aus meinem Leib gerungen wurde. Ich
war mir heilig durch Deine Berührung: wie hätte ich es vermocht, mich zu
teilen an Dich, der mir alles gewesen, und an andere, die an meinem Leben
nur leise anstreiften? Es war unser Kind, Geliebter, das Kind meiner
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik