Seite - 132 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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wie Du, selbst die Gütigsten unter ihnen, sie bittet man schwer. Einmal, ich
war noch ein Kind, sah ich durch das Guckloch an der Tür, wie Du einem
Bettler, der bei Dir geklingelt hatte, etwas gabst. Du gabst ihm rasch und
sogar viel, noch ehe er Dich bat, aber Du reichtest es ihm mit einer gewissen
Angst und Hast hin, er möchte nur bald wieder fortgehen, es war, als hättest
Du Furcht, ihm ins Auge zu sehen. Diese Deine unruhige, scheue, vor der
Dankbarkeit flüchtende Art des Helfens habe ich nie vergessen. Und deshalb
habe ich mich nie an Dich gewandt. Gewiß, ich weiß, Du hättest mir damals
zur Seite gestanden auch ohne die Gewißheit, es sei Dein Kind, Du hättest
mich getröstet, mir Geld gegeben, reichlich Geld, aber immer nur mit der
geheimen Ungeduld, das Unbequeme von Dir wegzuschieben, ja, ich glaube,
Du hättest mich sogar beredet, das Kind vorzeitig abzutun. Und dies fürchtete
ich vor allem – denn was hätte ich nicht getan, so Du es begehrtest, wie hätte
ich Dir etwas zu verweigern vermocht! Aber dieses Kind war alles für mich,
war es doch von Dir, nochmals Du, aber nun nicht mehr Du, der Glückliche,
der Sorglose, den ich nicht zu halten vermochte, sondern Du für immer – so
meinte ich – mir gegeben, verhaftet in meinem Leibe, verbunden in meinem
Leben. Nun hatte ich Dich ja endlich gefangen, ich konnte Dich, Dein Leben
wachsen spüren in meinen Adern, Dich nähren, Dich tränken, Dich liebkosen,
Dich küssen, wenn mir die Seele danach brannte. Siehst Du, Geliebter, darum
war ich so selig, als ich wußte, daß ich ein Kind von Dir hatte, darum
verschwieg ich Dirs: denn nun konntest Du mir nicht mehr entfliehen.
Freilich, Geliebter, es waren nicht nur so selige Monate, wie ich sie voraus
fühlte in meinen Gedanken, es waren auch Monate voll von Grauen und Qual,
voll Ekel vor der Niedrigkeit der Menschen. Ich hatte es nicht leicht. In das
Geschäft konnte ich während der letzten Monate nicht mehr gehen, damit es
den Verwandten nicht auffällig werde und sie nicht nach Hause berichteten.
Von der Mutter wollte ich kein Geld erbitten – so fristete ich mir mit dem
Verkauf von dem bißchen Schmuck, den ich hatte, die Zeit bis zur
Niederkunft. Eine Woche vorher wurden mir aus einem Schranke von einer
Wäscherin die letzten paar Kronen gestohlen, so mußte ich in die Gebärklinik.
Dort, wo nur die ganz Armen, die Ausgestoßenen und Vergessenen sich in
ihrer Not hinschleppen, dort, mitten im Abhub des Elends, dort ist das Kind,
Dein Kind geboren worden. Es war zum Sterben dort: fremd, fremd, fremd
war alles, fremd wir einander, die wir da lagen, einsam und voll Haß eine auf
die andere, nur vom Elend, von der gleichen Qual in diesen dumpfen, von
Chloroform und Blut, von Schrei und Stöhnen vollgepreßten Saal gestoßen.
Was die Armut an Erniedrigung, an seelischer und körperlicher Schande zu
ertragen hat, ich habe es dort gelitten an dem Beisammensein mit Dirnen und
mit Kranken, die aus der Gemeinsamkeit des Schicksals eine Gemeinheit
machten, an der Zynik der jungen Ärzte, die mit einem ironischen Lächeln
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik