Seite - 148 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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erkannte ich die schlotternde Gestalt, erkannte den demütigen Blick dieses
Menschen, der vorhin an der Tür gleichsam geklebt hatte. Er hielt den Hut
verschüchtert in der Hand wie ein Bettler und zitterte unter dem grellen Gruß,
unter dem Lachen, das wie ein Krampf ihre schwere Gestalt mit einem Male
zu schüttern schien und von rückwärts, vom Schanktisch, mit raschem
Geflüster der Wirtin begleitet wurde.
»Dort setz dich hin, zur Françoise«, herrschte sie den Armen an, als er jetzt
mit einem feigen, schlurfenden Schritt näher trat. »Du siehst, ich habe einen
Herrn.«
Deutsch schrie sie ihm das zu. Die Wirtin und das Mädel lachten laut,
obwohl sie nichts verstehen konnten, aber sie schienen den Gast schon zu
kennen.
»Gib ihm Champagner, Françoise«, den teuern, eine Flasche«, schrie sie
lachend hinüber, und wieder höhnisch zu ihm: »Ists dir zu teuer, so bleib
draußen, du elender Knicker. Möchtest mich wohl umsonst anstarren, ich
weiß, du möchtest alles umsonst.«
Die lange Gestalt schmolz gleichsam zusammen unter diesem bösen
Lachen, der Buckel schob sich schief empor, es war, als wollte das Gesicht
sich hündisch verkriechen, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche
griff, und verschüttete den Wein im Eingießen. Sein Blick, der immer
aufwollte zu ihrem Gesicht, konnte nicht weg vom Boden und tastete dort im
Kreise den Kacheln nach. Und jetzt sah ich erst deutlich unter der Lampe dies
ausgemergelte Gesicht, zermürbt und fahl, die Haare feucht und dünn auf
beinernem Schädel, die Gelenke lose und wie zerbrochen, eine
Jämmerlichkeit ohne Kraft und doch nicht ohne Bösartigkeit. Schief,
verschoben war alles in ihm und geduckt, und der Blick, den er jetzt einmal
hob und gleich wieder erschreckt zurückwarf, gekreuzt von einem bösen
Licht.
»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, herrschte mich das Mädel auf
französisch an und faßte derb meinen Arm, als wollte sie mich herumreißen.
»Das ist eine alte Sache zwischen mir und ihm, ist nicht von heute.« Und
wieder mit blanken Zähnen, wie zum Bisse bereit, laut zu ihm hinüber:
»Horch nur her, du alter Luchs. Möchtest hören, was ich rede. Daß ich eher
ins Meer gehe als mit dir, habe ich gesagt.«
Wieder lachten die Wirtin und das andere Mädel, breit und blöde. Es schien
ein gewohnter Spaß für sie, ein alltäglicher Scherz. Aber mir wars
unheimlich, jetzt zu sehen, wie sich dies andere Mädel plötzlich in falscher
Zärtlichkeit an ihn drängte und ihn mit Schmeicheleien abgriff, vor denen er
erschauerte ohne den Mut, sie abzuwehren, und ich erschrak, wenn sein Blick
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik