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Amok - Novellen einer Leidenschaft
Seite - 156 -
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Gasse kennt mich schon … sie lachen, wenn sie mich warten sehen … wahnsinnig werde ich davon … und doch jeden Abend stehe ich wieder dort … Mein Herr, ich beschwöre Sie … sprechen Sie mit ihr … ich kenne Sie ja nicht, aber tun Sie es um Gottes Barmherzigkeit … sprechen Sie mit ihr … « Unwillkürlich wollte ich meinen Arm befreien. Mir graute. Aber er, wie ers spürte, daß ich mich gegen sein Unglück wehrte, fiel plötzlich mitten auf der Straße in die Knie und faßte meine Füße. »Ich beschwöre Sie, mein Herr … Sie müssen mit ihr sprechen … Sie müssen … sonst … sonst geschieht etwas Furchtbares … Ich habe mein ganzes Geld verbraucht, sie zu suchen, und ich lasse sie nicht hier … nicht lebendig … Ich habe mir ein Messer gekauft … Ich habe ein Messer, mein Herr … Ich lasse sie hier nicht mehr … nicht lebendig … ich ertrage es nicht … Sprechen Sie mit ihr, mein Herr … « Er wälzte sich wie rasend vor mir. In diesem Augenblick kamen zwei Polizisten die Straße her. Ich riß ihn mit Gewalt auf. Einen Augenblick starrte er mich entgeistert an. Dann sagte er mit ganz fremder, trockener Stimme: »Die Gasse dort biegen Sie ein. Dann sind Sie bei Ihrem Hotel.« Einmal noch starrte er mich an mit Augen, in denen die Pupillen zerschmolzen schienen in ein grauenhaft Weißes und Leeres. Dann verschwand er. Ich wickelte mich in meinen Mantel. Mich fröstelte. Nur Müdigkeit spürte ich, eine wirre Trunkenheit, gefühllos und schwarz, einen wandelnden, purpurnen Schlaf. Ich wollte etwas denken und all das besinnen, aber immer hob sich diese schwarze Welle von Müdigkeit aus mir und riß mich mit. Ich tastete ins Hotel, fiel hin ins Bett und schlief dumpf wie ein Tier. Am nächsten Morgen wußte ich nicht mehr, was davon Traum oder Erlebnis war, und irgend etwas in mir wehrte sich dagegen, es zu wissen. Spät war ich erwacht, fremd in fremder Stadt, und ging eine Kirche zu besehen, in der antike Mosaiken von großem Ruhme sein sollten. Aber meine Augen starrten sie leer an, immer deutlicher stieg die Begegnung der vergangenen Nacht auf, und ohne Widerstand triebs mich weg, ich suchte die Gasse und das Haus. Aber diese seltsamen Gassen leben nur des Nachts, am Tage tragen sie graue, kalte Masken, unter denen nur der Vertraute sie erkennt. Ich fand sie nicht, so sehr ich suchte. Müde und enttäuscht kam ich heim, verfolgt von den Bildern des Wahns oder der Erinnerung. Um neun Uhr abends ging mein Zug. Mit Bedauern ließ ich die Stadt. Ein Träger hob mein Gepäck und trug es vor mir her dem Bahnhof zu. Da plötzlich, an einer Kreuzung, riß michs herum; ich erkannte die Quergasse, 156
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
Weiteres Belletristik
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