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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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lichem ansiedeln. Biografische, soziokulturelle und die Geschichte der
Psychoanalyse betreffende historiografische Entwicklungslinien sind in ih-
rem schmalen literarischen Werk – Lyrik, Prosa und Übersetzungen – wie
in einem Brennspiegel gebündelt. Die Texte markieren einerseits Etappen
auf Anna Freuds beruflichem wie privatem Weg, und umgekehrt kann
ihr Entstehungsprozess als Paradigma für ein Frauenleben im Wien der
Jahrhundertwende bis zum Anschluss entziffert werden: Suchbewegun-
gen einer jungen Frau, die 1895 in ihre sich gerade assimilierende und im
wohlhabenden Bürgertum etablierende jüdische Familie hineingeboren
wurde; in die multikulturelle Residenzstadt der Donaumonarchie, die zwi-
schen Fin de Siècle-Stimmung und Innovationsimpulsen junger Literaten
des ›Jungen Wien‹ gleichermaßen Untergang wie Aufbruch beschwor; in
einen Schmelztiegel der Völker und Kulturen und einer Zeit massiver Mo-
dernisierungsschübe, die ein Klima geistig-kultureller Kreativität ebenso
wie neue Formen des Antifeminismus und Antisemitismus erzeugten; die
in eine Zeit hineingeboren wurde, in der Frauen massiv begannen, um
Schulbildung, Hochschulzugang, Wahlrecht zu kämpfen und sich von
Kunstobjekten in Kunstschöpferinnen zu verwandeln; in eine Zeit, in der
Sigmund Freud seine 1899 verfasste »Traumdeutung« mit dem Erschei-
nungsjahr 1900 versehen und damit die Tragweite der Entthronung ›sei-
ner Majestät des Ich‹ unterstreichen würde; die als die Tochter dieses
Sigmund Freud, des Begründers der Psychoanalyse, geboren wurde; die
zwei Weltkriege miterlebte, die Vertreibung aus Wien, den Holocaust
Anna Freuds Affinität zur Dichtkunst reicht von frühesten Formen
des kindlichen Tagtraums und deren Niederschrift als Jugendliche über
das Verfassen von Gedichten während ihrer Analyse sowie der Arbeit an
Erzählungen und Romanprojekten bis zur Kreation eines Hunde-Ichs als
Autor/in von Gelegenheitslyrik, vorzugsweise zu Geburtstagen des Va-
ters, und der Arbeit an einer (jedenfalls ihr zugeschriebenen) illustrierten
Hundegeschichte für Kinder bis kurz vor ihrem Tod. Ihre Spuren finden
sich – abgesehen von den erhaltenen Werken selbst – in ihren Briefen,
besonders in jenen an Lou Andreas-Salomé, und in ihrem Aufnahmevor-
trag für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (»Schlagephantasie
und Tagtraum«) Mit Texten bzw Selbstaussagen belegbar ist eine pro-
duktive Periode ab 1914/15 bis etwa 1924, danach scheinen fast nur mehr
die Hunde zu dichten, während Anna Freud zunehmend zur Autorin
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik