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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 19
Unter dem heftigsten Widerspruch in Form einer umfangreichen Ent-
gegnung des von Marianne Hainisch gegründeten »Vereins der Lehrerin-
nen und Erzieherinnen in Österreich«39 hatte das Curatorium der Wiener
Pestalozzi-Stiftung 1896 beim Preisausschreiben zum Thema »Welche Fol-
gen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehrberufe
auf pädagogischem und socialem Gebiete?« mit der Arbeit der Klagenfur-
ter Lehrerin Elise Engelhard ein regelrechtes Pamphlet gegen diese Be-
rufswahl prämiert Das weibliche Nervensystem ist zarter, reizbarer als das
männliche von Haus aus, so Engelhard Nun lässt man es sich angelegen sein,
dasselbe noch durch anstrengende Studien, welche in die wichtigsten Lehr-
jahre der Frau, in die Zeit der Entwicklung vom 15. bis zum 19. Jahre fallen,
über Gebür und auf unvernünftige Weise anzuspannen, das von Natur aus
Subtile noch zu raffinieren. Wer je mit offenem und menschenfreundlichem
Auge das Treiben dieser armen Bildungsopfer, der Lehramtscanditatinnen,
beobachtet hat, wer sie insbesondere in dem Jahre der Maturitätsprüfung
beobachtet, der muss mit Betrübnis bemerken, wie nach und nach infol-
ge angestrengten Lernens, welchem die minder Begabten allzu häufig ihre
Nächte opfern müssen, die Rosen auf den jugendlichen Wangen erbleichen
und Mattigkeit, Missmuth, Verdrossenheit an die Stelle heller Lebensfreude
tritt. Ein hoher Procentsatz der Mädchen tritt mit einem schon erschöpf-
ten oder wenigstens überreizten Nervensystem seinen schweren Beruf an,
welcher doch an sich nichts ist, als eine fortwährende, unausgesetzte, nie
pausierende Anspannung der Nerven und des Gehirns. Ob der weibliche Or-
ganismus für eine solche Thätigkeit geschaffen ist, ob nicht vielmehr rege
körperliche Beschäftigung sein eigentliches Lebenselement ist, das sind Fra-
gen, welche früher oder später sicherlich die Wissenschaft lösen wird, deren
erste aber die Praxis schon jetzt durch die zahllosen Opfer, welche die Ner-
vosität gerade unter den Lehrerinnen fordert, energisch verneint.40
Dass die Freuds diesen Artikel gelesen haben, ist natürlich nicht nach-
weisbar Aber das Thema lag in der Luft Die Frage der Berufstätigkeit von
39 Seebauer, Frauen, die Schule machten, S 115
40 Engelhard, Welche Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes
zum Lehrberufe auf pädagogischem und socialem Gebiete? S 14 f Online im
Internet: http://www literature at/viewer alo?objid=13007&viewmode=fullscre
en&rotate=&scale=2&page=1
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik