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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 31
im metaphysischen Sinne unsittlicher Fleiß, das Weib absolviert in Form
von Wissenschaft sein Sexualleben vor aller Augen, hatte Wittels, wie er
meinte im Sinne Freuds, gegeifert 108 Die Verschiebung der Sexualität (…)
zur Wißbegierde liege jeder Forschung zugrunde,109 konstatierte Freud –
Klarerweise war Anna Freud das Wasser im Munde zusammengelaufen
Seit die Wiener Medizinische Fakultät im Jahr 1900 ihre Tore für weibliche
Studenten geöffnet hatte, dominierten jüdische Frauen von Anfang an
das Bild Mit einer absoluten Spitze im Wintersemester 1918/19 bildeten
sie die große Majorität angehender Medizinerinnen an der Universität 110
Aber Freud war ein entschiedener Anhänger der Laienanalyse – eine Auf-
fassung, die durch alle Kontroversen hindurch erfolgreich noch in das
österreichische Psychotherapiegesetz von 1990 einging, das den Zugang
zur Psychotherapieausbildung für Laien so konsequent offenhält, dass sie
nicht nur ohne Medizin-, sondern überhaupt auch ohne vorhergehendes
universitäres Studium absolviert werden kann Wir halten es (…) nicht für
wünschenswert, daß die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde
und dann ihre endgiltige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde111, so
Freud in seiner Verteidigungsschrift für den Nichtmediziner Theodor Reik,
der 1926 wegen Kurpfuscherei angezeigt worden war 112 Medizinisches
Detailwissen sei für die Psychoanalyse nicht nötig, sondern es brauche im
Gegenteil zum einen nicht medizinisch orientierte Lehr-Analytiker für die
Anwendung der Psychoanalyse in den Geisteswissenschaften und zum
anderen ›pädagogische Analytiker‹, die das Aufgabengebiet der psycho-
analytischen Phrophylaxis übernehmen können.113
Die Zeit, in der sich Anna Freuds beruflicher Weg herauszukristallisie-
ren beginnt, ist aber auch jene, in der sie Gehversuche auf literarischem
Gebiet macht Gehversuche, deren Genese sie, wie wir sehen werden,
in der Verknüpfung mit dem Tagträumen in ihre früheste Kindheit da-
tiert. Anna Freuds künstlerische Begabung liegt in der Familie: Ihr Bru-
108 Wittels, Weibliche Ärzte, S. 12.
109 Nunberg, Federn (Hg ), Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung,
Bd 1, S 186
110 Heindl, Tichy, Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück, S. 140 ff.
111 StA, Ergbd , S 338
112 StA, Ergbd , S 273
113 StA, Ergbd , S 337, S 339 f
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik