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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 51
forderung, die Anna spitzbübisch zurückweist: Das Häkeln läßt sich leider
erst im Herbst analysieren, weil jetzt ja Pause ist. Da könnte ich doch ganz
gut inzwischen noch etwas fertigbringen?203 Und als Lou, in der Anreise
auf den Semmering zu den Freuds, mit dem Zaunpfahl winkend, bemerkt,
sie werde sich für den Aufenthalt ein Lodencape kaufen,204 erklärt Anna
postwendend (wenn schon nicht sie selbst es stricken, weben oder hä-
keln darf …), sie könne ein ganz leichtes, reinlodenes, dunkles Cape, von
Papa tragen und brauche sich keines zu kaufen 205 Ödipal sind die hin und
herlaufenden Übertragungen allemal; noch 1933, als der Briefwechsel
schon längst ausgedünnt ist und Anna ihren Weg ins Gemeinsame mit
Dorothy Burlingham gefunden hat. Nur für ein paar Tage wolle sie ihren
Vater in ihr Landhaus, Hochrotherd, locken? Nicht den ganzen Sommer
über?206 Und die neue Decke von Anna! [D]a liegt sie nun bei mir, auf mir,
Deine wunderfeine Decke! und nicht nur bei Tage auf der (…) Couschette,
sondern sogar Nachts auf mir (…). Die Farben stimmen zu allem, und ich
denk dabei im Gebrauch so an Dich, als streicheltest Du mich mit dem zar-
ten Tuch!207
In den Briefen an Lou verdeutlicht sich auch der Zusammenhang zwi-
schen Tagträumereien, wie sie Anna in ihrem Aufnahmevortrag zum
Gegenstand ihrer Psychoanalyse macht, und den literarischen Projekten,
die aus ihnen entstehen sollen Beide diskutieren dabei immer wieder
Fragen einer psychoanalytisch fundierten Kunsttheorie In der Nicht-
Unterscheidung des Kindes zwischen Traum und Wirklichkeit drückt sich
für Lou die ursprüngliche Einheit von Fantasie und Realität, die Totalwirk-
lichkeit aus, aus der auch alle Poeten schöpfen 208 Das Interesse gilt der
Ansatzstelle des rein Poetischen, jenem Punkt, an dem Dichterisches sich
von Taggeträumtem209, Kunst sich von Psychose210 scheidet Während der
Psychot den Pfad ins Bewusstsein und in die Wirklichkeit nicht entdeckt,
203 LAS-AF, II, S 458
204 LAS-AF, II, S 465
205 LAS-AF, II, S 467
206 LAS-AF, II, S 619
207 LAS-AF, II, S 623
208 LAS-AF, I, S 40
209 LAS-AF, I, S 67
210 LAS-AF, I, S 94
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik