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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 53
de, soviel gute Zeit damit hinzubringen.218 Lieber bespricht er mit Anna
auf gemeinsamen Spaziergängen ihre psychoanalytischen Arbeiten und
ermuntert sie, in der Psychoanalytischen Vereinigung einen Fall vorzu-
stellen, wenn das nächste Mal ›Kleine Mitteilungen‹ sind,219 als gerade der H.
M. wieder aufgetaucht ist und Anna sich vornimmt, diesmal hartnäckiger
zu sein 220 Lou entgeht das Ressentiment, das sich da gegen die schönste
Umsetzung der väterlichen Psychoanalyse in’s Weibliche standhaft zu weh-
ren scheint, nicht, und wo sie sonst, wie wir noch sehen werden, niemals
gegen das Vatergesicht über ihrem Leben agiert, bleibt sie in diesem Be-
lang subversiv Es muss eine echte Lieblingsvorstellung von ihr gewesen
sein. So kommentiert sie denn auch Annas Hinweis auf Freuds Zurückhal-
tung gegenüber dem Romanvorhaben für ihre Verhältnisse ungewöhn-
lich direkt: Eins aber ist sicher: ob auch Dein Vater als letzte Autorität es
überflüssig fände, viel Zeit und Inanspruchnahme an H. M. oder etwa an die
andere Geschichte zu wenden, – es ist dennoch das, und nicht z. B. ›unsere
Arbeit‹ (wohl die psychoanalytische) was jetzt aus Dir wirksam werden
will, und gehorche Du diesem nicht weiter berechenbaren Umstand.221 Und
Annas Über-Ich versucht sie mehr als durchsichtig damit zu beschwich-
tigen, dass sie das Nicht-Schreiben zum Verrat am Vater umdeutet: ein
Hinunterschlucken der Romanideen und -ausformungen würde zweifel-
los zum gefährlichsten Verdrängungsakt und damit ein förmlicher Verrat
an Deinem Vater!!!222 – Es lässt sich nur darüber spekulieren, was denn
Freud so gar nicht an Annas Hang zum Dichten gefiel. Vielleicht sah er
wie Lou, dass sich das Tagträumen oft genug nicht ins (literarisch) Pro-
duktive wandelte, und fürchtete daher nach wie vor, es könnte sich mit
Anna entwickeln wie mit Anna O »Die Studien über Hysterie, besonders
die Kapitel von Breuer, heben die Bedeutung hervor, die die Tagträume
bei der Genese des hysterischen Symptoms haben: Die Gewohnheit des
Tagtraums (das »Privattheater« der Anna O.) begünstigt nach Breuer die
218 LAS-AF, I, S 85
219 LAS-AF, I, S 138
220 LAS-AF, I, S 137
221 LAS-AF, I, S 88
222 LAS-AF, I, S 91
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik