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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 55
mir meine Teufel austriebe, auch meinen Engeln ein kleiner, ein ganz kleiner
(sagen wir) Schrecken geschähe, – und – fühlen Sie – gerade darauf darf
ich es auf keinen Preis ankommen lassen.229 Allein dass in der Rede von
Annas ›geschreckten‹ Tagträume und Rilkes womöglich erschreckenden
Engeln semantische Übereinstimmung herrscht, lässt mit gutem Grund
auf Gespräche zwischen den beiden schreibenden Frauen und Psycho-
analytikerinnen rückschließen, die um dieses Thema kreisen. Hat Anna
durch die Analyse etwas unwiederbringlich verloren? Ist es in der Analyse
nicht gelungen, dem Schöpferischen den Weg zu bahnen? Oder hat erst
die Analyse geklärt, dass Annas Kreativität sich weniger auf literarischem
als auf therapeutischem Gebiet und dem Gebiet des theoretisch-psycho-
analytischen Vortragens und Schreibens wird entfalten können?
Dem Briefwechsel mit Lou zufolge ist Anna jedenfalls bis Ende 1924
neben ihren anderen, bereits in die Psychoanalyse weisenden Tätigkeiten
noch kontinuierlich mit Schreibvorhaben beschäftigt Obwohl Lyrik gut
die Hälfte der erhaltenen Texte Anna Freuds ausmacht, ist im Dialog mit
Lou, der Ende 1921 beginnt, ausschließlich von Prosa-Arbeiten die Rede
Soweit sie datiert und erhalten sind, entstanden die Gedichte, mit einigen
ganz wenigen Ausnahmen, alle zwischen 1918 und 1921, von den Hunde-
gedichten abgesehen, die bis zum Ende der Dreißiger Jahre – bis zu Sig-
mund Freuds letztem Geburtstag zu Lebzeiten – reichen Gemeinsame
literarische Projekte mit Lou scheinen nicht realisiert worden zu sein: In
den Briefen ist einmal die Rede von unserm Tagtraum-Bub-Mädchen-Brief-
wechsel230, der jetzt wohl nicht zustande kommen könne, und auch aus
der für 1924 geplanten Schwedenreise ist letzten Endes nichts geworden.
Die Reise hätte ganz unter dem Zeichen von Kunst und Literatur stehen
sollen: Auf die Besuchsliste wird gesetzt: Selma Lagerlöf, Knut Hamsun,
Ellen Key (…), der alte Georg Brandes, Werner Heidenstamm, ein paar Ma-
ler u.s.w.231, so Lou Und: Für Schweden denk ich mir: wir legen ein gemein-
schaftliches Tagebuch auf, wo täglich alles eingetragen (*Du mit Füllfeder,
ich mit Deiner Kinderzeitfeder (nur die nehme ich auf Reisen)) wird vom
Erhabensten bis zum Lächerlichsten; Menschen, Routen, Wissenschaft,
229 Rilke, Briefe, Bd 1, S 349 f
230 LAS-AF, I, S 44
231 LAS-AF, I, S 170
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik