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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 61
wenn sie findet, daß er seinem Namen allmählich zu viel Ehre macht.267
Mühsam ist der Entstehungsprozess, der letzten Endes auch nicht zu ei-
nem fertigen Werk führt. Ich versuche jetzt die Heinrich Mühsam-Geschich-
te, aber es geht sehr schwer268, schreibt Anna am 6 September 1922 an
Lou Sei Du möglichst mit Heinrich Mühsam in Verbindung, bis zu unwider-
stehlichem Drang, ihn in’s Leben zu setzen269, bald darauf Lou Und wieder
Anna: Vom Heinrich Mühsam hat mich ein kleines Stück in der letzten Zeit
besonders bedrängt und das wollte ich gern in diesen Brief einlegen. Jetzt
ist es aber doch noch nicht ganz fertig und mir ist das Warten darauf zu
lang geworden. So sei nicht erstaunt, wenn es ohne Entschuldigung irgend
einmal nachgereist kommt. (…) Am allerneugierigsten bin ich, ob Dir das
Stückchen Heinrich Mühsam recht sein wird, wenn es bei Dir ankommt.270
Der Besuch ist es jedenfalls: Und jetzt freu ich mich auf den Besuch von
Heinrich Mühsam, meine liebe, liebe, liebe Anna!271 Der aber lässt weiterhin
auf sich warten: Ich glaube, ich muß mich entschuldigen, daß ich es noch
immer selber bin, der – so im Original! – schreibt, und nicht der Heinrich
Mühsam. Er ist ohnehin jetzt meistens der Vorherrschende und von mir ge-
wöhnlich nur gerade so viel übrig als der Verlag verlangt. Der stört mich
augenblicklich und alles andere auch. Ich habe gar keine Lust, irgendjemand
zu sehen, zu sprechen, zu besuchen, zu erwarten oder ähnliches; aber im-
mer ist irgendetwas, das ich nicht will. Drei kleine Szenen sind jetzt, glaube
ich, zum Schreiben fertig und die hoffe ich bald zu schicken, wenn sie nicht
noch irgendwo stecken bleiben. (…) Ich hoffe sehr sehr sehr, daß ich Dir
bald ein Stückchen von dem schicken kann, was mir jetzt im Kopf herum-
brummt und mich so wüst macht.272 Und am 19 Oktober kommt es dann,
das leider sehr kleine erste Stückchen vom Heinrich Mühsam. Wo es in der
Geschichte hingehört, weiß ich noch nicht recht, auch nicht ob es so ähnlich
bleiben kann. Es ist nur eine kleine Probe davon, wie er ungefähr ist und hat
sich aus irgendeinem Grund gerade vorgedrängt. Du mußt denken, daß es
267 LAS-AF, I, S 164
268 LAS-AF, I, S 73
269 LAS-AF, I, S 76
270 LAS-AF, I, S 77 u 78
271 LAS-AF, I, S 81
272 LAS-AF, I, S 82 u 83
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik