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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 73
chen bekommen und war dort sein eigener Schloßherr,337 vernehmen wir
1925 an Lou – Jetzt ist es schon fast ein Anachronismus, wenn Lou sich in
die Hochrotherd-Semantik mit vertraut erotisierender Metaphorik ein-
schreiben möchte: Ich freu mich an Hochroterd [!], als ob ich es nicht nur so
platonisch lieben dürfte sondern es sogar besichtigen und berühren.338 Ich
stelle mir Dich soeben auf Hochrotherd vor und am liebsten ihn neben Dir.339
Dies wie auch die vorwurfsvolle Frage, warum sie denn den Vater nur für
ein paar Tage nach Hochrotherd holen wolle,340 löst jetzt keine Schuldge-
fühle mehr aus. Da hinkt die ja inzwischen immerhin Zweiundsiebzigjähri-
ge auch ein wenig hinter ihrer eigenen Einsicht nach, denn auch sie hatte
1925, bei ihrem Besuch bei den Freuds auf dem Semmering, eine Ände-
rung zu bemerken begonnen, die sie zunächst negativ deutete, und for-
mulierte 1927, in Erinnerung daran: Und je mehr Spielraum Du in Dir be-
kämst für alles, was Du irgend kriegen und erreichen kannst, desto herrlicher.
Weder muß das ja auf meiner Linie gelegen sein, noch auch muß ich es
schließlich, – im Alter das vielleicht nicht mehr voll mitmachen könnte – sel-
ber umgreifen & begreifen können, falls ich so uralt würde.341 Als Lou von
Anna allerhand über den Vater erfahren möchte, kann diese leichthin
sagen: Schreib ihm doch einmal direkt342, ohne dass der herzliche Ton zwi-
schen der gealterten Lou und der gereiften Anna verschwunden wäre
Dass Sigmund Freud Lou über all die Jahre finanziell unterstützte,343 wirft
noch ein ganz anderes Licht auf Lous Verhalten in diesem Dreieck
Ende des Jahres 1934 berichtet Anna, dass sie an ihrem Buch über
Abwehrmechanismen344 zu arbeiten beginne, und das ganz ohne
Schreibhemmung: Ich freue mich sehr darauf, denn jetzt fällt mir immer-
337 LAS-AF, II, S 450
338 LAS-AF, II, S 610
339 LAS-AF, II, S 624
340 LAS-AF, II, S 619
341 LAS-AF, II, S 548
342 LAS-AF, II, S 648
343 Gay, S 438, 643 SF-LAS, S 151, Brief S F vom 11 August 1924: Als wir uns zuletzt
in Berlin trafen, dachte ich mir die Mitbeteiligung an Ihrer Lebenssorge mehr als
eine kontinuierlich fortlaufende Aufgabe.
344 Das Buch erschien 1936 unter dem Titel »Das Ich und die Abwehrmechanis-
men« im Internationalen Psychoanalytischen Verlag
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik