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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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fort etwas ein und das war früher nicht so. Und weiter: Das bin jetzt fast
schon ich. Dann kommt noch Dorothy und Hochrotherd und dort ist alles
gut.345 Hochrotherd ist ganz und gar ihr Eigenes Symbolisch: Dabei ist
es ja natürlich nicht Hiddensee346 und Hochrotherd, sondern die sind nur
Zeichen für das ganze übrige Leben, an dem man hängt und in dem man zu
Hause ist347 – und konkret: Ich habe grosse Freude an dem Bau und es tut
mir nur schrecklich leid, dass ich nicht täglich draussen sein kann und alles
mitmachen. Einmal habe ich mit den Arbeitern ein Stück Ziegelmauer ge-
mauert. Das ist sehr einfach. Gestern war ich fast eine Stunde auf dem Dach
und habe Schindeln genagelt, aber das ist schon viel schwerer. Ich möchte
gerne alles lernen, damit ich später Ausbesserungen selber machen kann,
aber es ist nicht so einfach.348 So 1931 während der Umbaubarbeiten an
den Bruder Ernst – Anna hat mit dem Dichten inzwischen nahezu ganz
aufgehört Seit etwa 1925 lassen sich keine literarischen Projekte im en-
geren Sinn mehr nachweisen; fast nur noch in Gelegenheitsdichtungen
zu bestimmten Anlässen bekommen wir Anna Freuds lyrische Stimme zu
hören Freuds 76 Geburtstag 1932 ist, wie manche vorhergehenden, ein
solcher Anlass Anna schenkt ihm ein Album mit Fotos bisheriger dau-
erhafter oder vorübergehender familiärer Behausungen, abgelöst von
Fotos der Umbauarbeiten Hochrotherds bis zu Aufnahmen des fertigen
Hauses, in das die beiden Grundbesitzer – Anna und Dorothy – den Jubi-
lar einladen 349 Paargereimte Zweizeiler kommentieren die Fotos Wenn
es keinen Kunstanspruch mehr erhebt, welche Funktion hat das Reimen
dann und welcher Impuls bringt es hervor? Für Hochrotherd, diesem Zei-
chen für das ganze übrige Leben, an dem man hängt und in dem man zu
Hause ist, wo ›alles gut ist‹, könnte man denken, muss auch die Sprache
schön sein Übertönt der Reim die Prosa des Alltags In der Realität des
Nationalsozialismus, der weder Reim noch Prosa scheute, um ›schöne
Worte‹ ins Pathos für Gräueltaten umschlagen zu lassen, und in der Re-
345 LAS-AF, II, S 645
346 Ernsts Ferienhaus auf der Ostsee-Insel Hiddensee, das er im Sommer 1927 er-
worben hatte SF-BadK, S 263
347 FML, Briefe Anna Freud – Ernst Freud, 1919–1970, hier an Ernsts Ehefrau ›Lux‹
(Lucie), Brief v 9 VIII 33
348 FML, Briefe Anna Freud – Ernst Freud, 1919–1970, Brief v 22 xI 1931
349 Nr. 29
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik