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Dagegen kann eine diskurstheoretische Perspektive gestellt werden, die
ebenfallsdie ›Produktivität‹derKonstruktionrassistischdefinierterAnderer
hervorhebt,dieseabernicht anEinstellungenoderCharakterzügeEinzelner
bindet. So kann etwa die einflussreiche, 1978 erschienene Orientalismus-
Studie von Edward W. Said unter diesem Gesichtspunkt als Beitrag zur
Rassismusforschunggelesenwerden.DerLiteraturwissenschaftlerSaidgeht
der Konstruktion des ›Orients‹ durch französische und britische Autoren
des 18. und 19. Jahrhunderts nach. ›Orientalismus‹ nennt er den umfas-
senden Komplex von Praxen – ökonomischer, politischer, künstlerischer,
verwaltungstechnischer und militärischer Natur –, die ›den Orient‹ als
abstraktes Objekt herstellten und die ihn verkörpernden Menschen und
Länderbeherrschten.Er ist »einewestlicheArt,denOrient zubeherrschen,
umzugestalten und Autorität über ihn auszuüben« (Said 2003 [1978]: 3).2
Diese Praxen, so Said weiter, wurden ermöglicht und bestärkt durch ein
umfangreiches, bisweilen einhellig geteiltes Archiv desWissens, das durch
Prosa, Poesie, Reiseberichte, diplomatische Depeschen, bürokratische Ak-
ten, journalistische Artikel, Malerei und Musik, philosophische Schriften
undwissenschaftliche Abhandlungen angelegtwurde (Said 2003 [1978]: 41).
Dieses orientalistische Wissensarchiv ist einer spezifischen »Denkweise«
verbunden,die»aufeinerontologischenundepistemologischenUnterschei-
dung zwischen ›demOrient‹ und ›demOkzident‹ beruht« (Said 2003 [1978]:
2). Die Geschichte der Kolonisierung weiter Teile Afrikas und Asiens wird
so nicht nur als Geschichte der Repression undUnterwerfung verstanden,
sondern auch als Geschichte der Produktion der kolonialen Subjekte als
abgewertete Andere. Indem sichWissen undMacht in den kolonialen Pra-
xen ganz unmittelbar miteinander verbanden, konnte der Orientalismus
in diesem Sinne als ›Diskurs‹ funktionieren: »Weil es aus einer Position
der Stärke hervorgebracht wurde, erschafft dasWissen über denOrient in
diesemSinnedenOrient,denOrientalenundseineWelt« (Said 2003 [1978]:
40). Anders als bei Sartre, Horkheimer und Adorno gerät die abwertende
KonstruktiondesAnderenbei Saidnicht zur pathischenAnomalie, sondern
stellt gerade die Normalität einer durch Kolonialismus und Imperialismus
geprägten globalen Konstellation dar. Said und die an ihn anschließende,
diskurstheoretisch orientierte postkoloniale Kritik stellt den Prozess der
2 Leider istauchdie2009erschienenedeutscheNeuübersetzungvon»Orientalism«völlig
unzulänglichundteilweise sinnentstellend.Diesesund folgendeZitate sinddeshalbei-
geneÜbersetzungenausdemenglischenOriginal.
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Titel
- Im Namen der Emanzipation
- Untertitel
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Autor
- Benjamin Opratko
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 366
- Schlagwörter
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik