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4 GrundlageneinerhegemonietheoretischenRassismusanalyse 115
tiert‹ lasen, griffen auf sie zurück.9 Dieser historische Kontext mag zum
Teil erklären, warum in der englischsprachigen Rassismusdiskussion zwar
auf Gramscis Gefängnishefte, nicht jedoch auf dessen eigene Auseinander-
setzungmitRassismusBezug genommenwurde. Letzterefinden sich zwar
verstreut in den Gefängnisheften, die entsprechenden Passagen wurden
aber nicht in denAuswahlband von 1971 aufgenommen. So kommt es, dass
StuartHallnoch1986seineneinflussreichenAufsatzzu»Gramsci’s relevance
for the Study of Race andEthnicity«mit der Behauptung einleiten konnte:
»Gramscididnotwriteabout race,ethnicityor racismintheir contemporary
meanings or manifestations« (Hall 1986: 8, Herv. i. O.). Das ist unrichtig,
wie die Lektüre der Gefängnishefte und -briefe sowie der Veröffentlichun-
gen vor Gramscis Inhaftierung bezeugen. Darauf haben zuletzt mehrere
ForscherInnen hingewiesen (Brennan 2001; Carley 2013; Green 2013; Sriva-
stava/Bhattacharya 2012).Wahr ist, dass Gramsci es nicht für nötig hielt,
reaktionären Rassentheorien Beachtung als intellektuelle Herausforderung
zu schenken. Fragen der biologischen Überlegenheit oder der ›Rassenmi-
schung‹ kommentierte er in denGefängnisheften lapidar als »absurd« (GH:
257). In einemBrief an seine Schwägerin Tatjana Schucht vom 12.Oktober
1931 reagiert er ungehalten auf deren Verweis auf vermeintlich ›rassische‹
Charaktereigenschaften.Erkritisiert,dassmanche ihrerAussagen in frühe-
ren Briefen einen »Standpunkt, der direkt in den Antisemitismus führte«,
beinhalteten (Gramsci 1956: 182).Wer überMenschengruppen als »Rassen«
schreibe,betreibe»MystizismusniedererSorte«(Gramsci1956:183),rassische
Unterschiede behaupteten Menschen dort, wo man sie »propagandistisch
bearbeitet«habe: »Sohabe ich fürmeinenTeildie [Rassen-]Fragegelöstund
lassemichnichtverleiten,siewiederaufzurollen« (Gramsci 1956: 184).
SehrwohlvonInteressewarfür ihn jedochdieFunktionder ›Rassenfrage‹
fürdiepolitischenKräfteverhältnisse seinerZeit.DasThemataucht ineiner
Reihe vonNotizen in denGefängnisheften auf. Einerseits behandelt Gram-
sci, als Teil seiner Studien zur Herausbildung der italienischen Intellektu-
ellen, die Haltung jener zur italienischen Kolonialpolitik. Er setzt sichmit
9 EinebemerkenswerteAusnahmewarPerryAnderson. SeineinflussreicherAufsatz »The
AntinomiesofAntonioGramsci«,veröffentlicht1976inderNewLeftReview,greiftaufdie
kurzzuvorerschieneneitalienischeGesamtausgabederGefängnisheftezurück(Anderson
1976).RassismusundverwandtePhänomeneinteressierenAndersondabei jedochnicht,
sodassdiesfürdierassismustheoretischeRezeptionGramscisohneFolgenblieb.
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Titel
- Im Namen der Emanzipation
- Untertitel
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Autor
- Benjamin Opratko
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 366
- Schlagwörter
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik