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4 GrundlageneinerhegemonietheoretischenRassismusanalyse 123
selbsteinParadebeispieldafür,wiesichdieRassendoktrinVorstellungendes
zivilisatorischen Fortschritts vom ›Barbaren‹ zum ›Kultivierten‹16 zu eigen
machtundKörperals ›Folien‹nutzt,»aufdiesichsozialerzeugteIndikatoren
minderenMenschseinsprojizieren ließen« (Hund2006: 120).17
EindritterAspektwirdvonGramsci amdeutlichsten inder erstenText-
fassung von 1926 ausgesprochen,woer schreibt: »Noch einmal diente ›Wis-
senschaft‹dazu,dieArmenundAusgebeutetenzutreten,aberdiesmalkleide-
tesiesichinsozialistischeFarbenunderhobdenAnspruch,dieWissenschaft
desProletariatszusein.«(Gramsci1955:9).DerRassismuswarzwareine›bür-
gerliche Ideologie‹ unddiente alsZement fürdieHegemoniedes Industrie-
undBankkapitalsNorditaliens; seineVerbreitung konnte aber nicht nur als
PropagandadesKapitals verstandenwerden.Hierfür bieten abermals Lom-
brosounddie positivistischeKriminologie reichhaltigesAnschauungsmate-
rial. Lombroso selbstwar selbst für einige ZeitMitglied der Sozialistischen
Partei und für diese Bezirksabgeordneter in Turin. Obwohl seineTheorien
später imFaschismusundNationalsozialismus aufgegriffenwurden, sah er
sich selbst »as a progressive, not to say a radical, bringing science, ormo-
re specifically evolutionary biology and physical anthropology to bear upon
Italy’s ›backwardness‹« (Pick 1986: 65).SeineMotivewarenaufklärerischund
demIdeal desFortschritts verpflichtet: »Lombrosian racial doctrinewasnot
linked topolitical reaction,but entered Italianpolitics asaprogressive force
againstCatholicandliberalsocialthought«(D’Agostino2002:323).AuchLom-
brososSchülerwareninderSozialistischenParteioderstandenihrnahe.En-
ricoFerriwarsogarvon1886bis1924sozialistischerParlamentsabgeordneter,
16 LombrososTheoriedesrassischenAtavismuskannauchalsTeileinerbreiterenkulturel-
lenund intellektuellenStrömunginEuropagelesenwerden,diedasvermeintlichePro-
blemderDegeneration–desKörpers,derMenschheit,derKultur,derZivilisation,derNa-
tion,desGeistes– ineiner sichneu formierenden, »medico-psychiatric andnatural sci-
entific language«artikulierte(Pick1986:2).
17 GramscihatalsoeinsehrhellsichtigesVerständnisdafür,dassesgeradedieVerknüpfung
scheinbarinkompatiblerWissensbeständeoderLogikenist,dieden›Erfolg‹dermeridio-
nalistischen Ideologie ausmachen.Diese Erkenntnis geht selbst zeitgenössischenAna-
lysen bisweilen ab. So identifiziert Gibson in ihrerwertvollen undhöchst kenntnisrei-
chenAufarbeitungeine »confusion in racial classification«bei Lombroso, Ferri,Nicefo-
roundSergi alsDefizit. Sie stellt erstaunt fest: »Withoutacleardefinition, race shifted
betweenbiological, cultural,andpolitical categories intheirwriting« (Gibson1998: 113).
Dabeiübersiehtsie,dassesgeradedieseAmalgamierungvonBiologie,KulturundPolitik
war,diedenRassendiskurssowirkmächtigwerdenließ.
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Titel
- Im Namen der Emanzipation
- Untertitel
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Autor
- Benjamin Opratko
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 366
- Schlagwörter
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik