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6 VonderKulturalisierungzurTemporalisierung 235
McClintockübersetztdievonFabianbeschriebeneVerweigerungderGleich-
zeitigkeit indenBegriff des anachronistischenRaums,um ihnausderPro-
blematikderSelbstkritikderAnthropologieherauszuhebenund indenum-
fassendenKontextkolonialerundimperialistischerPraktikenzuüberführen.
Gewissermaßengreift sie die in »Timeand theOther« nichtweiter verfolg-
te Bemerkung Fabians auf, wonach die Verweigerung der Gleichzeitigkeit
»a political act, not just a discursive fact« sei (Fabian 2014 [1983]: 153-154).
DiehistorischeBedingung fürdieKonstruktiondesanachronistischenRau-
mes ist dieDurchsetzung einermodernen, säkularisierten und chronologi-
schen Zeitwahrnehmung,wie sie von Fabian beschriebenwurde. Ende des
19. Jahrhunderts,mit derÜbertragung der darwinistischenEvolutionslehre
aufdie sozialeWelt, entstanddarauseineZeit-Raum-Ordnung,dieMcClin-
tock»panoptischeZeit«nennt: »Timebecameageographyof social power,a
map fromwhich to readaglobal allegoryof ›natural‹ social difference.Most
importantly, history took on the character of a spectacle« (McClintock 1995:
37).PanoptischeZeitbedeutet,dassdieWeltvoneinemimaginärenZentrum
–derkolonialenMetropole–ausbeobachtet,kontrolliertundgeordnetwer-
denkann,indemsieinunterschiedlicheGradederzeitlichenAbweichungvon
derGegenwartdesZentrumseingeteiltwird.DieReise indieKolonien–ob
als tatsächlicheExpedition oder imaginiert durchLiteratur,Kunst oderKo-
lonialwaren–wird zu einer Reise in die Vergangenheit: »imperial progress
across the space of empire is figured as a journey backward in time to an
anachronisticmomentofprehistory.[…]Geographicaldifferenceacross space
is figuredas ahistorical difference across time.« (McClintock 1995: 40;Herv.
i.O.)
MitdenKonzeptender »panoptischenZeit«unddes »anachronistischen
Raums«bietetMcClintockzweieindringlicheBegriffe,umdieTemporalisie-
rungdes/derAnderensowiediedarineingelasseneLokalisierungundDeloka-
lisierungzubegreifen.SiegehtdabeiindreierleiHinsichtüberdieEinsichten
vonFabianhinaus.Erstensargumentiert sie,dassdie imeuropäischenKolo-
nialismuseingelasseneLogikderTemporalisierungaufdie sozialenVerhält-
nisse innerhalbderMetropolenzurückwirkt.Mitder ›Entdeckung‹anachro-
nistischerRäume implanetarischenMaßstab eröffnen sich gegenEndedes
19. JahrhundertsneueMöglichkeiten,auchanderenSubjekten,dievomIdeal
desweißen,männlichenBürgers abweichen, dieGleichzeitigkeit abzuspre-
chen: »In the industrialmetropolis […] the evocation of anachronistic space
(the invention of the archaic) became central to the discourse of racial sci-
enceandtheurbansurveillanceofwomenandtheworkingclass«(McClintock
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Titel
- Im Namen der Emanzipation
- Untertitel
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Autor
- Benjamin Opratko
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 366
- Schlagwörter
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik