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6 VonderKulturalisierungzurTemporalisierung 251
»Gramsci holds that it is not sufficient forMarxism to subject other forms
of thought to thescrutinyof ideology-critique,demonstratingtheirhistori-
calconditionsofemergence, theclass interests towhichtheygiveexpressi-
on, thecontradictionsbywhich theyare traversedandconstitutedandthe
partiality of their claims to ›truth‹. Itmust alsobeable toapply suchade-
mystifyingcritiquetoitself,providinganaccountofthehistoricityofitsown
propositionsanddescriptions. Inotherwords,Marxismdoesnotdeflatethe
metaphysicalpretensionsofothersystemsofthoughtinorderinflateitsown
claimstoanahistoricalvalidity.« (Thomas2009:253)
Morera nennt dieseDimension desHistorizismus inGramscis Philosophie
derPraxis»HistorizismusalsVergänglichkeit« (»historicismas transcience«,
Morera 1990: 74; vgl. Opratko 2018: 170). Dieser »absolute Historizismus«
ist nicht der eurozentrisch-rassistischen, unilinearen Raum-Zeit-Matrix
verpflichtet. ImGegenteil: FolgenwirThomas’ Interpretation, brichtGram-
scis absoluterHistorizismusmit einem linearen, teleologischenVerständnis
von Geschichte und Temporalität. Liest man die zahlreichen historischen
Fallstudien in den Gefängnisheften – etwa zum Risorgimento und den
politischenKräfteverhältnissen imneugeeinten Italien– lässt sich einebe-
sondereSensibilität fürdengebrochenen,zersplittertenCharakterzeitlicher
Ordnungen in der kapitalistischenModerne erkennen, die dem Bild einer
linearen Fortschrittsbewegung entgegensteht. »For Gramsci, the present is
necessarily non-identicalwith itself, composedof numerous ›times‹ that do
notcoincidebutencountereachotherwithmutualcomprehension«(Thomas
2009:283).Selbstdort,woGramsciaufunterschiedlicheEntwicklungsstufen
europäischer und außereuropäischer Gesellschaften zu verweisen scheint,
liegtderAnalyseeinkomplexeresVerständnisvonZeitlichkeitzugrunde.Ein
sinnfälliges Beispiel ist Gramscis berühmt gewordener Vergleich zwischen
dem ›Osten‹ (Russland),wodie sozialistischeRevolution siegen konnte und
dem›Westen‹ (Deutschland,Österreich, Italien),wosie scheiterte.Erentwi-
ckelt seineThese vonder stabilen, durchdie Zivilgesellschaft abgesicherten
Hegemonie imWestenentlangdiesesVergleichs,dereine temporalisierende
Noteenthält:
»ImOstenwarderStaatalles,dieZivilgesellschaftwar in ihrenAnfängenund
gallertenhaft; imWestenbestandzwischenStaatundZivilgesellschaft ein
richtigesVerhältnis,undbeimWankendesStaatesgewahrtemansogleich
eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorge-
schobener Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von
Im Namen der Emanzipation
Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Titel
- Im Namen der Emanzipation
- Untertitel
- Antimuslimischer Rassismus in Österreich
- Autor
- Benjamin Opratko
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4982-0
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 366
- Schlagwörter
- Rassismus, Österreich, Islam, Moslem, Fremdenfeindlichkeit, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik