Seite - 44 - in Anton Kuh - Biographie
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war kein Vortrag einer Abhandlung, keine Kathederarbeit, keine Rede
wie Ja und Nein, nein, sondern allerpersönlichste Redekunst, Auswirken
einer artistischen Eigenart. Sein Sprechertum braucht, wie die Schau-
spielerei, den Spiegel und das Echo, weil die Einzigartigkeit und Ein-
maligkeit des schöpferischen Ereignisses den Augenblick überdauern
will und soll. Es kennzeichnet den Rhapsoden, daß nicht das Worüber,
sondern das Wie seines Sprechens entscheidet. […] Wichtiger als das
Thema scheint mir für Anton Kuh das Publikum zu sein, die dunkle,
dumpfe elektrizitätsschwangere Wolke, aus der er seine Geistesblitze
zieht. Es ist ein Unterschied, ob jemand Geist hat oder ob er Geist pro-
duziert. Anton Kuh hat zweifellos Geist wie nur wenige – aber wenn
das stumme Publikum da drunten ihn reizt, produziert er Geist. Erst die
unbewußt gefühlte Tatsache, daß ein modernes, gebildetes Publikum
so vage ist, so verschwommen, so ungefähr und beiläufig und, zwar
angeregt, aber im tiefsten uninteressiert an rein geistigen Problemen,
macht den Redner Kuh so leidenschaftlich präzis und entscheidend
bekennerisch. Dieses polare Verhältnis zum Publikum eignet ihn zum
Journalisten und zum improvisierenden Redner, mit satirischer Grund-
tendenz. […] Ein moderner Kunsttyp à la Wedekind, der Künstler als
Hofnarr des modernen Publikums, als tragischer Komiker seiner Sen-
dung, als rhapsodischer Rächer und Zeuge und Täter des Geistes, hinter
der Maske des Zeitvertreibs die Vertreibung dieser Zeit!«12
Was rühmt man dem »Sprechsteller« nicht alles nach: ein Feuerwerk
an Witz, blendende Beobachtungen, eleganteste geistige Akrobatik,
brillante Verve, lebendigste Gestik und Mimik, überwältigenden rheto-
rischen Elan, erschöpfende Sachkenntnis, blitzende Dialektik, funkelnde
Aphoristik, unwiderstehlichen Charme, anmutigen Witz, mitreißendes
Temperament – aber die Quintessenz? Zerstieben die eineinhalb, zwei
Stunden Stegreif-Artistik nicht in ein ploppendes buntes Nichts? Was
bleibt, wenn der tosende Beifall verklungen ist? Mehr als die angeregte
Stimmung, die das hingerissene Publikum mit in den Abend nimmt?
Die charmante Selbstbespiegelung eines amüsanten Plauderers, so lau-
tet auf den Punkt gebracht der Eindruck, den »Inquit« in der »Vossischen
Zeitung« von der Matinee über den Prozeß Caro gegen Petschek im
Deutschen Künstlertheater wiedergibt, in der Kuh der Streit zwischen
Petschek-Montecci und Caro-Capuletti, zwischen Braunkohle und
Stickstoff, zwischen altem und neuem Reichtum, wie »Inquit« es formu-
liert, den Anlaß gibt »zum Aufsetzen einer zeitgemäßen Bowle aus Witz,
Schlagfertigkeit, Tiefsinn und Unsinn; einer stark moussierenden, wohl-
schmeckenden, mehr den Gaumen reizenden als durstlöschenden Mi-
schung«. Aber wer wolle Anton Kuh auch Gründlichkeit abverlangen,
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien