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Anton Kuh schont nicht nur sein Publikum nicht, er macht erst recht
vor sich selber nicht halt. Er ist mit straff konzentrierter Energie bei der
Sache. Sein Stegreifen hat mit dem Sprechen nach einstudiertem Text,
dem Pendeln zwischen tonloser Litanei und pathetischer Fehlbetonung,
oder dem Aufsagen nach einem Konzept oder einem vorgesetzten Plan
oder in der Manier jener Kabarettisten, die durch verlegenes Knopf-
nesteln, Pausenmachen, Hüsteln, Krawattenzupfen, Ins-Publikum-
Grinsen der Einstudiertheit ein legeres Äußeres verleihen möchten43,
nichts zu tun. Sein Publikum erlebt mit, »wie einer schwitzend coram
publico« denkt, es erlebt »Nacktabend[e] des Geistes«.44
Beinahe polizeiwidrig dumm: Die Wiener Polizeibehörde verlangt
im März 1924, daß man ihr die Stegreif-Conférence Anton Kuhs vorlege,
die die Aufführung von Frank Wedekinds nach wie vor verbotenem
»Sonnenspektrum« in den Wiener Kammerspielen – als geschlossene
Nachtvorstellung für geladene Gäste
– einleiten sollte. Sie wäre genauso
überrascht gewesen wie die Premierenbesucher, die schon der General-
probe beigewohnt hatten, und hätte wohl eingesehen, daß die Erfüllung
dieses Verlangens ebenso zweck- und sinnlos war wie die Aufforderung
dazu lächerlich. »Kuh sprach nämlich, obschon er sich an das Thema
hielt, das ihm im Hirne brannte, Neues zur (Herzens-) Sache. Und
sprach es, was doch anders (und auch heller und heftiger) als am Vor-
vormittage klang, in einer Form, deren Geschlossenheit der dieser
Theatervorstellung zu entsprechen schien.«45
Selbst wenn Kuh mit einem Vortrag auf Tournee geht und wie zum
Beispiel mit »Sachlichkeit in der Erotik« am 16. Feber 1930 in Berlin,
am 2. März in Wien und am 6. März in Prag auftritt oder mit »Warum
haben wir kein Geld?« am 15. November 1931 in Wien, am 23. Novem-
ber 1931 in Prag, am 5. Dezember 1931 in Berlin, am 16. Dezember
1931 in Mährisch-Ostrau und am 23. Januar 1932 in Hamburg, steht
zwar ein thematischer Kern, aber er gerät vom Hundertsten ins Tau-
sendste, ganz nach seiner Maxime: »Sich so in jeder Seitengasse des
Themas verlieren, daß man die Hauptstraße abschneidet –: Grund-
bedingung einer guten Rede.«46
Selbst wenn er »vorliest«, improvisiert er: etwa im Vortrag »Von
Grinzing bis Peking«, der im Feber 1928 angekündigt wird als »Anton
Kuhs Panoptikum«, als »heiterer, parodistischer Abend«, an dem Kuh
»aus seinen gedruckten und ungedruckten Schriften« sprechen wird.
»So wenig, wie sich Kuh in seiner ganzen Persönlichkeit in einen bür-
gerlichen Rahmen oder Beruf zwängen läßt, so wenig taugt er auch zur
Rolle des Autors, der »aus seinen Werken vorliest«. »Selbst das bereits
Gedruckte verändert bei ihm unter dem Einfluß dessen, was ihm der
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien