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unter dem Vortragstitel »Ein Pferd, ein Pferd …« am 3. Januar 1922
gegen Leopold Jessners Inszenierung von »Richard III.«, die gerade
im Wiener Raimund-Theater gastiert, und gegen die »modernen Re-
gisseure aus der Schule des Berliner Bluffs«59 sowie Fritz Kortners
Interpretation der Hauptrolle als »gekrönter Fleischerknecht«. Oder
nimmt im März 1924 den hohe Wellen schlagenden Kadivec-Prozeß
zum Anlaß, sich im Kleinen Musikvereinssaal über die österreichi-
sche
Justizbürokratie auszulassen. Oder die diplomatischen Turbulen-
zen, die eine Prager Karikaturen-Ausstellung im Frühjahr 1934, um
unter dem Titel »Erlaubte Karikaturen« über politische Photomontagen
zu sprechen. Er greift Stimmungen auf, zieht etwa im Mai 1926 gegen
das wehleidige Geraunze über den Wiener sozialdemokratischen Fi-
nanzstadtrat Hugo Breitner unter dem Titel »Der Breitner ist schuld!«
her, der für alles, was im heruntergekommenen Wiener Theater-
und
Vergnügungsbetrieb schiefläuft, verantwortlich gemacht wird. Oder
tritt 1931, 1932, mitten in der Weltwirtschaftskrise, mit »Warum ha-
ben
wir kein Geld?« als Paria des Kapitalismus und Routinier der Pleite
auf.
»Mit äusserster Intensität seine bis zum Bersten gefüllte Person aus
Anlass eines Publikums zur rednerischen Entladung zu bringen«, so
beschreibt Franz Blei die höchst seltene Begabung Anton Kuhs, die
ihm, Blei, außerordentlich Disparates in einer Person zu vereinen scheint:
»Nämlich ein fortreissendes Temperament und gleichzeitig die Fähig-
keit, mit der Hellsichtigkeit eines Schlafwandlers am unsichtbaren Seile
des Gedankens zu wandeln, also sowohl Chaos wie Ordnung zu sein,
und beides in einem«. Blei weiter: »[D]a ist mit höchster Dezision ge-
sprochen und mit einer Leidenschaft der Gesinnung, die ja überhaupt
nur und allein der Anlass solcher Rede sein kann, nicht selbstgefällige
Schöngeisterei, die sich spreizt. Das plätschert nicht munter und schäumt
zuweilen ein bisschen auf, sondern das haut und sticht, muss es sein, auch
gegen sich selber. Was ist ein solcher Redner wie dieser Anton Kuh?
Ein Mensch, der sich blossstellt. Ein Wehrloser. Einer, der sich weder
in Deckung noch in Schutz begibt.«60
Einen ähnlichen Eindruck gewinnt Alfred Kerr, der den Berliner Vor-
trag »Warum haben wir kein Geld?« fasziniert resümiert: »Das Ganze:
kaum ein Vortrag. Sondern der Eindruck von einem Menschen. […] In
seinen Vorträgen war ich zum ersten Mal. Es ist kein Vortrag, sondern
der Eindruck von einem Menschen.«61
Kuh ist mit dem höchsten Einsatz zugange: sich selbst. Er verschenkt
sich. Oder, wie ein Prager Rezensent den »von einer geradezu antiken
Leidenschaft und Beredsamkeit überhitzten Gedankenlauf« beschreibt,
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien