Seite - 57 - in Anton Kuh - Biographie
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Wie entgeht er bei dem Drahtseilakt der Gefahr, in die Manege zu
plumpsen, aus der »hirnheißen Antwortstimmung«77 gerissen zu wer-
den, ins Stocken zu geraten, und damit dem Verhängnis, die »Zirkus-
Erwartung, ob er nicht doch endlich vom gespannten Seil der Worte«
herunterfalle,78 zu erfüllen?
Kuh hat da so seine Kniffe und Tricks, sich aus dieser Gefahr raus-
zumanövrieren. Und das sind nicht die billigen Tricks des Kabarettiers,
die locker eingestreuten, aufgesetzten Verlegenheitsgesten des Conféren-
ciers mit seinem Habitus der zwanglosen Aufgeknöpftheit: die verson-
nene, suchende Gebärde etwa, als habe man mitten in der Rede einen
Fleck auf dem Ärmel entdeckt, den man, weiterredend, mit großer Um-
sicht wegzuputzen beginnt; oder das Betrachten der Fingernägel. Er
verstummt plötzlich, als zehrte er an einer ablenkenden Reminiszenz,
während er in Wirklichkeit denkt: »›Heiliger Gott, spreche ich über
Kaninchenzucht oder Zionismus?‹«79 Oder er läßt »die Grammophon-
platte der Sprache leer laufen«, ohne daß er den Stift des Sinnes auf-
setzt80, soll heißen, er macht ein paar Minuten lang »bloß Sprachwind«,81
bis ihm wieder etwas eingefallen ist und er sich mit einem Ruck aus der
Gedankenflaute bugsiert.
Sein »Hausmittel für Undisponiertheit« aber ist und bleibt: Über-
zeugtheit. Fehlt es ihm an Einfall und guter Laune, eine Welt aus dem
Ärmel zu schütteln, dann bezieht er »die Siegfried-Stellung des Vor-
trags«, das heißt, er beginnt, sich »wahnsinnig und brüllend zu erregen.
Am nächsten Tage heißt es dann: nicht alles, was Herr Kuh spricht, hält
der Kritik stand, aber in ihm glüht der Wahrheitsdrang!«82
Wenn der Schwung doch einmal erlahmt, helfen Zwischenrufe. Wäh-
rend Beifall eher bequem macht, wirbeln mäkelnde oder höhnische
»Ahas«, »Ohos« und »Hehes« aus Parkett und Galerie die schlapp ge-
wordene Sprechlust wieder auf. Wenn Kuh so schlecht gelaunt ist, daß
er den eigenen Überzeugungen phlegmatisch gegenübersteht, teilt er
Freunden vor dem Vortrag bestimmte Zwischenrufe zu, auf die reagie-
ren zu müssen ihn wieder befeuert. Sogar »Idiot!« läßt er sich einmal
zurufen: »es erbitterte die einen, erwärmte die anderen und brachte
Stimmung ins Haus.«83
Friedrich Torbergs zweifelhaftes Loblied auf diesen Literaten, der sich
leider außerstande zeige, »den Witz und den Geist, den er am Kaffee-
haustisch mit müheloser Grandezza versprühte, in eine für den Druck
und vollends für den Buchdruck geeignete Form zu fassen«84, mag an
üble Nachrede grenzen; Freunde Kuhs, die über den Verdacht erhaben
sind, sie verträten die Sache Karl Kraus’, bestätigen indessen Torbergs
Beobachtung – indem sie dessen Abschätzigkeit in höchste Anerken-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien