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nung wenden. Die Schrift sei nicht Kuhs eigentliches Ausdrucksmittel,
Schreiben sei für ihn nur ein Umweg, seine Gedanken suchten den
kürzesten Weg der Mitteilung, kurz, sein Element der Mitteilung sei die
Rede, und zwar die im kleinen Kreis.
Rudolf Olden, langjähriger Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«,
etwa hält fest, daß die großen Wiener und Berliner Säle mit ihren Hun-
derten Plätzen nicht Kuhs »wirkliches Forum« seien: »Sondern … Er
kommt auf eine Minute in die Redaktion, etwa zwischen eins und zwei,
also frühmorgens, wenn zarte Menschen frisch und auf der Höhe ihrer
Nervenkraft sind. Er muss dem Redakteur einen dringenden Wunsch
vortragen. Er bittet, ersucht, fordert, plädiert, wirbt. Aus den Neben-
zimmern sammelt sich ein Auditorium, das ihn anspornt. Er erwählt
sich einen Gegner unter ihnen, der zu kurzen Zwischenrufen zuge-
lassen wird. Das ist der Antagonist, der Feind, der advokatus diaboli,
der Andersgläubige, der Vertreter einer fremden Weltanschauung, der
Vorkämpfer eines fernen Kosmos, in ihm wird das Böse schlechthin
apostrophiert. Anton Kuhs bleiches Gesicht leuchtet, die weissen
Hände formen die Plastik kleiner Dinge, die ins Grosse wachsen, ein
Katarakt von Worten füllt das Zimmer, aus einem unwahrhaftigen
Gedankenstrich entsteht ein heuchlerisches Jahrhundert, aus einem
falschen Gestus ein ungerechter Erdteil, eine Weltkatastrophe wird auf
den Setzfehler zurückgeführt, der sie vollkommen symbolisiert.« Das
sei »die eigentliche Kunst dieses Künstlers«, in der er unübertroffen
und unvergleichlich ist. Alles sehr luftig, flüchtig, gewichtlos – trotz-
dem unvergeßlich. Wenn er vor einem Parkett spreche, weiche er schon
ab von seiner Linie, passe er sich einem ihm inkongruenten Format
an.85
Karl Tschuppik stößt ins selbe Horn: Im kleinen Kreis brilliere der
Redner und entfalte »seine Riesenpanorama-Phantasie und den En-
thusiasmus des Denkens« ungehemmt, »die kleine Schar, die ihn schätzt
und den Reichtum seines Geistes wie einen seltenen Garten bewundert,
hat Tieferes und Größeres empfangen«: »Er hat an melancholischen
Herbstabenden, in langen Winternächten, an Frühjahrsmorgen, im
Freien oder unter Dach, auf langen Spaziergängen, in Redaktions-
räumen, Kneipen und stillen Wohnungen die besten Früchte seines
Denkens hingegeben, ohne daß sie eine Feder festgehalten hätte. Viele
dieser freien, improvisierten Vorträge waren druckreif; es hätte nur
eines stillen Mitschreibers bedurft, um etwa ›Beethovens Tod‹, ›Schopen-
hauer, der Humorist‹, ›Kant, Goethe, Richard Wagner und die Deut-
schen‹, ›Die Welt Raimunds‹ als Zeugnisse originalen Denkens auch
einem großen Kreis zu vermitteln.«86
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien