Seite - 65 - in Anton Kuh - Biographie
Bild der Seite - 65 -
Text der Seite - 65 -
65
gegen die jungen aufstrebenden Talente zu wahren, vor allem aber ge-
gen »ein goethelndes Spießertum«, »das den Schlafrock tragen will,
ohne je den Harnisch angehabt zu haben, und das ›Goethe‹ […] nur
benützt, um das Philistertum zu vergolden«115. Und verschreckt von
»all dem Drängen der Überhitzt- und Überspitztheit von heute, die das
Schaffen und Sagen unserer Jungliteraten umwittern«, wiegelt der Re-
zensent des »Prager Abendblatts«, der um den erziehlichen Einfluß von
Kuhs Vortrag auf die im Saal anwesende Jugend fürchtet, betulich ab:
»Vandalismus an geistigem Heiligtum soll man nicht gutheißen und
nicht die Pietät zersetzen, mit der wir gerne manche menschliche Schwä-
chen an unseren übermenschlich kraftvollen Olympiern verhüllt haben
wollen.«116 Berthold Viertel erfreut sich hingegen am jugendlichen Elan:
»Man sah einen prächtigen Augenblick lang im schmalen blassen Ge-
sichte Anton Kuhs das Profil der Jugend aufleuchten, die den Geist ernst
nimmt und an der Idee leidet, die kämpfen muß und produzieren will. Es
war das Verlockende an diesem unmittelbaren Spiel der Antithesen, daß
man ein Gefühl wie von entscheidenden Geistestaten bekam, die man
mit machen darf. Eine Nuance mehr, sagte Kuh über die Goethesche
Harmonik, und Goethe wäre ins Philisterium abgestürzt. Eine Nuance
weniger, und Anton Kuh hätte genial
– eine Nuance mehr, und er hätte
unartig gesprochen. Aber wer hätte gedacht, daß die Farbenlehre ein so
anregendes Thema abgeben könnte!«117
Von »Prager literarische[n] Kreise[n]« aufgefordert, »hier über ein
zeitgemäßes Thema zu sprechen«118, steht Kuh drei Wochen nach der
vom »Montagsblatt aus Böhmen« als »erfrischende Oase in der un-
ermeßlichen, öden Wüste der Prager Vorträge«119 bezeichneten Philip-
pika wider den unnahbaren Olympier in der Stadt der »neuen Genera-
tion« mit dem Thema »Die neue Generation« auf der Bühne
des ausverkauften Mozarteums. »Nicht so gut aufgelegt wie
unlängst«, meint Berthold Viertel, der den Grundriß der »neuen
Generation« trotzdem »noch nie so kühn und sicher« gezeich-
net findet: »Die Sintflut selbst sorgt dafür, daß diese Jugend
nicht ›auch eine‹ Jugend sein kann und darf, sondern für uns alle und
für sich selber die Jugend sein soll und muß. Keine Möglichkeit, daß die
Geistigen von morgen, die Denkenden und Wollenden, die Produzieren-
den, wenn sie aus der Arche steigen und den Boden eines neuen Frie-
dens betreten, in einer literarischen Mode oder überhaupt in der ästhe-
tischen Kategorie steckenbleiben könnten. Es ist mit den ›Idealen‹, den
› Scheinwirklichkeiten‹, dem ›Bücherkasten‹ einer Kulturwelt tabula
rasa gemacht worden. Der Sprecher der ›neuen Generation‹ zeigte, wie
die jungen Köpfe und Herzen unmittelbar an die Wirklichkeit ge-
Prag, Mozarteum,
29.5.1918,
19.30 Uhr:
Die neue
Generation
zurück zum
Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien