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haben, befahl Kerlen mit Verbrechervisagen, jene Offiziere, die trotz
alledem ihre Sterne trugen, hinters Haustor zu führen und ihnen dort
die Sterne herunterzureißen. / Orgien an Schamlosigkeit füllten in
diesem Monat und in den folgenden die Judenblätter in Darlegungen,
daß das, was wir Kriegermut, Überwindung der Todesfurcht genannt
hatten, richtig bezeichnet Feigheit, nämlich Feigheit vor dem Vorwurf
der Feigheit gewesen sei; wahrer Mut aber sei, wenn einer, der Ver-
achtung trotzend, die Gefahr, erschossen, erschlagen und erstochen zu
werden, gemieden habe und davongelaufen sei oder sich unter irgend
einer Ausrede oder gar durch Selbstverstümmelung gedrückt habe.
Jüdische Gelehrte wiesen nach, daß jene, deren Tun wir als heldisch zu
preisen gelernt hatten, im besten Falle Hysteriker seien. Anton Kuh
hieß oder heißt der Mann, der in der Tageszeitung ›Der Morgen‹ den
folgerichtigsten Aufsatz über diese Dinge geschrieben hat, so folgerich-
tig, daß ich auf offenem Stadtbahnsteig, nachdem ich seinen Aufsatz
gelesen hatte, vor Wut aufbrüllte.«125
In Bleyer-Härtls Kommißkopf ist Kuhs Generalabrechnung mit dem
überkommenen Ehrenkodex, »Ehrlich gestanden«,126 hängengeblieben,
die aus dem Juli 1919 datiert, mit dem Kastengeist, Standesdünkel und
der Selbstherrlichkeit der Berufsoffiziere war Kuh bereits im Herbst
1918 ins Gericht gegangen, und das, ohne jedweden mildernden Um-
stand gelten zu lassen. Nur keine Schonung auch der abgetakelten »Gott-
gesalbten kleineren und größeren Kalibers«! Angewidert schildert Kuh
den »feudalen Totentanz«, den die Mitglieder des österreichischen
Herrenhauses127, ganz »Komparserie einer Prinz-Eugen-Operette«, im
Oktober 1918 in ihrem verbohrten Festhalten am längst Bankrott ge-
gangenen »Großösterreich« aufführen: »Ja, mit Verlaub, wieso denn?
Warum soll es taktlos sein, eine durch Byzantinismus und Servilismus,
durch Schulaberglauben und Unwürde verborgene Beziehung wieder
natürlich herzustellen, aus einem verfassungsmäßigen Zustand die Kon-
sequenzen zu ziehen und mit den gewesenen Herrschern zu rechten und
zu richten, wie sie’s verdient haben? Diese Heiligkeit und Gschamig-
keit vor eh’mals Gekrönten ist nur für eines verdächtig: wie unausrott-
bar, unzerstörbar in den freien, republikanischen Männerbrüsten das
Lakaientum, die ganze eitle Anschmierung fortbesteht, wie wenig tief
und notwendig ihnen der Geschichtswandel eigentlich erscheint! Sie
machen, während sich die Terminologie einer ganzen Welt geändert
hat, noch immer ihr innerliches Buckerl.«128
Mit November 1918 und dem Auseinanderbrechen der Habsburger-
monarchie ist Wien vom Finanz-, Handels- und kulturellen Zentrum
eines 52 Millionen Menschen umfassenden Reichs zur Hauptstadt eines
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien