Seite - 70 - in Anton Kuh - Biographie
Bild der Seite - 70 -
Text der Seite - 70 -
70
Gehorsam zu leisten. Die Bemühungen des Unterstaatssekretärs für
Heerwesen, Julius Deutschs, die linksradikalen Mitglieder kaltzustellen,
führt zur Spaltung der »Volkswehrabteilung Stiftskaserne (Rote Garde)«
und schließlich zur Eingliederung des Rests der linksradikalen Rot-
gardisten als »Volkwehrbataillon 41« in die Volkswehr, die reguläre
bewaffnete Truppe der Republik.132
Schwere Unruhen und Tumulte münden indessen bis ins Frühjahr
1919 hinein in Gewalttätigkeiten. Im Verlauf einer durch Schußwechsel
ausgelösten Massenpanik werden am 12. November 1918 bei der Aus-
rufung der Republik Deutschösterreich vor dem Parlamentsgebäude
zwei Menschen zu Tode getrampelt und Dutzende verletzt. Ein von der
Kommunistischen Partei initiierter Demonstrationszug durchbricht am
31. Januar 1919 den von starken Polizeikräften gebildeten Sicherungs-
kordon um das Parlament. Bei den Zusammenstößen werden achtzehn
Polizisten verletzt, zahlreiche der 38 verhafteten Demonstranten tragen
Schußwaffen bei sich. Am 17. April 1919 fordern Feuergefechte bei
Demonstrationen Arbeitsloser, Kriegsheimkehrer und Kriegsinvalider
vor dem Parlament sechs Tote und fünfzig Schwerverletzte.
Auch die »Geistigen« steigen auf die Barrikaden – seien’s auch bloß
die Brüstungen der Theater-Galerien. Nachdem am 9. November 1918
bereits die Premiere des Hermann-Bahr-Stücks »Die Stimme« nach
Tumulten erst nach mehrfachen Unterbrechungen zu Ende gespielt
werden konnte – laut »Reichspost« ist die »inszenierte wüste Hetze«
motiviert durch die »in letzter Zeit von dem Dichter vertretenen vater-
ländischen Anschauungen und seine katholische Gesinnung, die in
seinem […] Werke ›Die Stimme‹ scharf ausgeprägt zum Ausdruck
kommt«;133 die »Wiener Sonn- und Montags-Zeitung« spricht von
spontaner »ehr liche[r] Entrüstung über klerikale Tücke und Hinter-
listigkeit des Verfassers«134 –, muß die fünfundzwanzigste Vorstellung
der Wittmann-Bauer-Lafiteschen Operette »Der Kongreß tanzt« im
ausverkauften Wiener Stadttheater am 3. Dezember 1918 nach organi-
sierten Krawallen abgebrochen werden. Als der Zuckerbäcker Lenzl
Weghuber seine Geliebte, die Zofe Loni, nach seinem Entreelied auf-
fordert, Ferdinand Raimund zu ihm zu sagen, schwellen die von Beginn
der Vorstellung an vernehmbaren Unmutsäußerungen zu einem vom
Geschehen auf der Bühne und applaudierenden Besuchern der Jubi-
läumsvorstellung nicht mehr zu übertönenden Lärm an. Es wird ge-
pfiffen, gejohlt und geschrien: »Leichenschändung!«, »Operetten-
schund!«, »Vorhang! Vorhang!«. Von der Galerie flattern Flugzettel
ins Haus, in denen es u. a. heißt: »Gewissenlose Nutznießer eurer
Verblendung ziehen die unsterblichen Meister in den Kot eines ver-
zurück zum
Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien