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logenen Machwerks, indem der kapitalistische Ausbeutertrieb selbst vor
den hehren Schöpfungen des Geistes, dem reinsten Gute der Mensch-
heit, nicht haltmacht. Menschen, wollt ihr die Kunst noch länger pro-
stituiert wissen?! […] Legt Verwahrung ein gegen die schamlose Ver-
gewaltigung der Werke eurer großen Künstler durch geldgierige
Fabrikanten der Schundoperette!« Es fruchtet weder der Versuch eines
Bühnenarbeiters, die Demonstranten von der Rampe aus umzustim-
men, noch vermag eine Ansprache von Direktor Hertzka von einer
Loge aus die Gemüter zu beruhigen. Im Zuschauerraum und im Vesti-
bül des Theaters arten die Auseinandersetzungen zu Raufereien aus, die
Polizei schreitet ein und nimmt einige Verhaftungen vor. Die christ-
lichsoziale »Reichspost« weiß zu berichten, daß die Störaktion von
langer Hand geplant ist: »Das Flugzettelbombardement, das nieder-
ging, wurde von Franz Blei in Szene gesetzt, einem der Hauptmacher
des jüdischen sogenannten ›Jung-Wiener Schriftstellerkreises‹ im Café
Zentral, der sich nun mit Unterstützung willfähriger Anhänger außer
sonstigen Theatervorstellungen auch die Aufführung von Theater-
skandalen als Aufgabe gesetzt zu haben scheint. Nach der Teilnahme an
der Gründung der Roten Garde haben sich nun die Herren Blei, Wer-
fel, Gütersloh recte Kiehtreiber und Genossen scheinbar ein anderes
geistiges Betätigungsfeld ausgesucht. Unter den Demonstranten stellte
die Polizei eine Anzahl jüdischer Offiziere fest, deren Zugehörigkeit
eben zu der erwähnten ›geistigen Clique‹ des Café Zentral außer Zwei-
fel steht.«135
Mag der »Bolschewistenterror im Theater«, da der Theaterbetrieb
fest in bürgerlicher Hand ist, das »einzige und zeitgemäßeste Gegen-
mittel« sein; mag er dem »operettenverjauchte[n] Bürgertum« einen
Schreck eingejagt haben; »mag«, so Anton Kuh, »kurz gesagt, das Ma-
schinengewehr auch in Geschmacksfragen radikaler entscheiden als aller
Feuilletonismus und Ästhetenprotest« – es bleiben prinzipielle Ein-
wände: zum einen, daß dieses gegen die Operette gerichtete Maschinen-
gewehr nur auf eine Ausgeburt der bürgerlichen Kultur zielte mit »ihrem
selbstkoketten Schlieferl- und Flitscherltum, ihrer in Musik und Rosa-
tüll getauchten Tetterlhaftigkeit«, Symptom der »politischen Herab-
gekommenheit des Bürgertums in seinem ganzen Ausmaß. Aber eben
darum, weil der Fall ein politicum ist, erscheint er im Theater deplaciert.
Glaubt man die Hydra zu töten, indem man ihr ein Kopfstück gibt?«
Zum anderen: »Daß Krawall zwar eine billige Überfuhr aus der Literatur
in die Politik, keineswegs aber das Wesen der Politik ist.«136
Sarkastisch kommentiert Anton Kuh auch die »Hausse in Güte und
Ethos«, die der Weltkrieg statt Selbsterkenntnis an der Börse der Eitel-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien