Seite - 76 - in Anton Kuh - Biographie
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gespielter Naivität Phrasen aus der »Chronik«-Meldung beim Wort
nehmen und, aufs erste verstörend, blitzartig Erkenntnisse hinter ab-
gegriffenen Floskeln, Klischees und Metaphern zu Tage fördern. Pro-
grammatisch respekt- und taktlos und nicht eben zimperlich auch sein
Spott, seine Bosheit, seine Häme, die indessen unauflösbar auf das Ar-
gument verweisen, also durchwegs analytisch sind. Sein Sprachwitz ist
nicht alberne Witzelei, sondern strikt beschreibendes definitorisches
Konzentrat.
Als »physiologisch linksstehende[m] Mensch[en]«151 ist ihm das »was-
serblütige, beintrockene, schmalbrüstige« Geschlecht der herkömm-
lichen Literaten zuwider, dessen »Gott die Gescheitheit [ist] und das mit
Schreibtafel und Kreide die Welt auf ›richtig‹ und ›unrichtig‹« kontrol-
liert152, jene blutleeren »Nichts-Riskierer« und »physiologischen Feig-
linge«, deren ganzes Streben dahin geht, sich keine Blößen zu geben,
und die »statt in der Welt im luftleeren Raum der Intellektualität le-
ben«153, diese »Hermaphroditen aus Kunst und Bürgerlichkeit, die aus
einer stockreaktionären Leiblichkeit ein fortgeschrittenes Hirn bedie-
nen«154. Ihm, der in der publizistischen Auseinandersetzung Kopf und
Kragen riskiert, sind die feuilletonistischen Dampfplauderer zuwider.
Er hegt eine idiosynkratische Aversion gegen die Herrschaften, die auf
einer Glatze Locken drehen,155 die, während über dem Strich Tacheles
geredet wird, unter dem Strich gemütlich plaudern und die Mißlich-
keiten der Welt mit einem rosa Zuckerguß drapieren.
Anton Kuh ist konkret. Er, dem Dogmatismus und Parteigeist ver-
haßt sind, läßt sich von keiner Ideologie vereinnahmen. Ihm sind die
großen Versprechen abstrakter Utopien und Doktrinen ins Pathologi-
sche lappende »idées fixes«, Realitätsverweigerung und Erkenntnishin-
dernis und damit ein Greuel. Für ihn gibt es »ein einziges argumentum
ad rem«: »das argumentum ad hominem«156
– ganz nach seinem Lebens-
motto: »Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.«157
Sachlichkeit ist etwas für »affektlose Trockenköpfe«, das »beliebte
Gesellschaftsspiel, das die Teilnahmslosigkeit mit gegebenen Tatsachen
treibt, […] die kalte Statistiken-Schnauze«.158
Ein Jahr nach Gründung liefert »Der Friede« – »was er vor Jahres-
frist nicht durfte« – sein Programm, nämlich: in dieser »Fiktion aus
Schund und Kitsch« namens Österreich ein »Störenfriede« zu sein.159
–
Ein Programm ganz nach dem Geschmack dieses »Ausnahmsfall[s] von
renitentem Geist«160 namens Anton Kuh, dem die Rolle des »gebornen
Frondeurs«, die er in »Pogrom« – in der Prager zionistischen »Selbst-
wehr« mit Max Brods Empfehlung »Der Schrei dieses Outsiders möge
gehört werden«161 nachgedruckt – den Juden generell zuschreibt, auf
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien