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den Leib geschneidert ist. Und für den der »Sinn des Feuilletonteils,
sofern er überhaupt Sinn hat«, nur in der Anarchie liegen kann, »die
innerhalb seiner Grenzen im Gegensatz zum Obern-Strich-Rayon
herrscht«.162
Kuhs Schrei wird gehört. Nicht nur setzt sich Berthold Viertel ein-
gehend mit dessen »unfromme[m], ja anarchistische[m] Protest« kritisch
auseinander163 – die christlichsoziale »Reichspost« stellt Kuh dafür als
Propagator jüdischer Weltherrschaft an den Pranger164, und der Wiener
Landtagsabgeordnete Leopold Kunschak hetzt bei einer Kundgebung
des Christlichsozialen Arbeitervereins in der Volkshalle des Neuen
Rathauses am 10. Juli 1918 unter dem johlenden Beifall der 2500 Ver-
sammelten gegen das verkommene Albion und dessen »wühlerische«
Helfershelfer, namentlich gegen einen »jüdische[n] Journalist[en]«, der
»in einer jüdischen Zeitung das Wort vom Juden als dem gebornen
Frondeur geprägt« hat.165
Nicht nur die lokale Rechte verfolgt Kuh mit Argusaugen, auch
Siegfried Jacobsohn ist nach einem Hinweis Max Brods auf »die einzige
junge Elementarkraft unseres Journalismus«166 aufmerksam geworden
und lädt Kuh Mitte 1917 zur Mitarbeit an seiner 1905 gegründeten
»Schaubühne« ein. Allerdings vergrault Kuh »S. J.«, indem er der per
1. April 1918 programmatisch »Weltbühne« betitelten Berliner Wochen-
schrift bereits angebotene Texte schon vorab veröffentlicht. Er publiziert
jedenfalls erst wieder nach Jacobsohns Tod am 3. Dezember 1926 in
diesem publizistischen Sammelbecken der parteiunabhängigen Linken
der Weimarer Republik.
Am Abend des 14. März 1919 gibt Kuh sein Wiener Debüt
als Stegreif-Redner. Thema
– nicht von ungefähr –: sein Autor,
Wedekind, »Wedekind, der Revolutionär«. Nicht von ungefähr
deswegen auch sein Erfolg: Denn wenn Kuh mitreißend über
den »Sexualrevolutionär« Wedekind spricht, »der sich selber,
die Bürger ingrimmig frotzelnd, als Moralist bezeichnete« und
»so lange auf die Moralpauke der Philister, die um ihre Ruhe
zitterten, [schlug], bis das Fell in Fransen ging«167, hat das Audi-
torium den Eindruck, daß »der Revolutionär Anton Kuh sich [ihm]
mitteilt«.168 »Denn Kuh sprach mit feurigen Zungen, dem Gedanken
untertan, dem Worte hingegeben. Die formvollendeten, geistgeladenen
Aperçus, die, von einer prachtvollen Energie getrieben, zischend aus
seinem Munde fuhren, waren nicht nur ›blendend‹, sie waren auch
treffend.«169 Für den sensationellen Auftritt erntet Kuh nicht nur den
begeisterten Applaus seiner Zuhörer, sondern – wie das »Prager Tag-
blatt« berichtet – auch ein Engagement als Schauspieler. Der Direktor
Wien,
Österreichischer
Ingenieur- und
Architekten-
verein, Großer
Saal, 14.3.1919,
18 Uhr:
Wedekind, der
Revolutionär
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien