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künden sie jetzt ihr: ›Nidder mit di Juden!‹ Es ist etwas weniger
– aber
es ist etwas. Von Chamberlain, Bismarck, Reventlow, Tirpitz ist ihnen
nun einmal nichts als die Kleine Schiffgasse* geblieben. Gegen die aber
stürmen sie mit unentwegtem Mannesgrimme. Ihr ›Hipp, hipp, hurra‹
ist verstummt
– sie rufen: ›Hepp, hepp, hurra‹.** Wundert sich jemand
darüber? Es ist kein Zufall, daß es in Breslau und in Hannover Primaner
waren, die solidarisch für die Hohenzollern demonstrierten.182 Primaner
hüben, Primaner drüben
– der Typus wird sich niemals wandeln. Es ist
der Primaner, der den echten deutschen Mann macht, ob er eine Hacken-
quartspur im buttrigen Gesicht aufweist oder einen Wilhelm-I.-Bart
trägt. Und nimmt man ihm Flotte und Weltgeschichtsspielzeug – so
haut er die Juden. Das ›Hoch Hohenzollern‹ dort und ›Nieder mit der
Schiffgasse!‹ hier hat gleichen Sinn und gleichen Klang.«183
Im Sommer hatte Anton Kuh einem Hohenzoller mit Herrenreiter-
und Herrenmenschen-Allüren höchstpersönlich Bescheid gestoßen:
Prinz Joachim [Albrecht von Preußen]. Der hatte auf dem Bahnhof von
Bad Ischl, ungehalten über eine Zugsverspätung, den Bahnhofsvorstand
angerempelt und erklärt, »die ›Hohenzollern würden ohnehin bald
zurückkehren und dann werde die Sauwirtschaft bald ein Ende neh-
men‹. Im Anschluß daran hatte sich der Prinz in antisemitischen Be-
schimpfungen ergangen, bis der im Bahnhof anwesende Schriftsteller
Anton Kuh ihm eine deutliche Antwort gab und ihm eine körperliche
Züchtigung in Aussicht stellte.«184
Am Sonntag, 5. Oktober 1919, versammeln sich vormittags in der
Volkshalle des Wiener Rathauses sowie auf dem Rathausplatz etwa
5000 Personen zu einer Kundgebung des Deutschösterreichischen Anti-
semitenbundes, auf der Redner der Großdeutschen und der Christ-
lichsozialen Partei die Abschiebung aller jüdischen Kriegsflüchtlinge
binnen vierzehn Tagen fordern – aus »hygienischen Gründen«. Am
25. September hat bereits eine vom Deutschen Volksrat für Wien und
Niederösterreich einberufene Versammlung am selben Ort per Resolu-
tion die »Abschaffung«, soll heißen Ausweisung der jüdischen Flücht-
linge bis 5. Oktober verlangt, widrigenfalls werde man zur »Selbsthilfe«
schreiten. Die Pogromstimmung, die sich im Anschluß an die beiden
Kundgebungen dank eines massiven Polizeiaufgebots »nur« in wüstem
* Kleine Schiffgasse: Straßenzug in der Leopoldstadt, dem Wiener Gemein-
debezirk mit dem höchsten Anteil jüdischer Wohnbevölkerung (1920
umbenannt in Franz-Hochedlinger-Gasse). Metonym für: Ghetto resp.
Juden.
** »Hepp, hepp«: antisemitischer Hetzruf.
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien