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lich festzumachen und gleich die ganze »Scheinwelt, die sich Literatur
nennt und deren Taten das Werk von Betrügern und Huren sind«,35
in Bausch und Bogen zu verdammen. Kulka hatte in den »Blättern
des Burgtheaters« unter dem Titel »Der Gott des Lachens« Passagen
aus der »Vorschule der Ästhetik« veröffentlicht. Kraus witterte In-
famie, Diebstahl am geistigen Eigentum und die »Kommunisierung des
Geisteslebens«36.
Kulka verteidigte sich mit der auf den ersten Blick wenig glaubwür-
digen Begründung, er habe dem Werk Jean Pauls einen Dienst erweisen
wollen37 – auf den zweiten Blick durchaus glaubwürdig, da er tatsäch-
lich nicht nur über Jean Paul dissertiert, sondern sich bei Verlagen um
Neuauflagen von Jean-Paul-Schriften bemüht hatte.
Ehrenstein sprang Kulka, dem »unbekannten dreiundzwanzigjährigen
Menschen, den der gewaltige Kraus bei lebendigem Leibe röstete«, in der
Zeitschrift des von ihm mitbegründeten Genossenschaftsverlags, »Die
Gefährten«38, bei; mit einer etwas hanebüchenen – eher Bihänder als
Florett
– Retourkutsche: indem er seinerseits seinen ehemaligen Förde-
rer des Plagiats bezichtigte: »mit literarischem Hohn und krausisch
keine kotige Wirkung verschmähendem Spott«39 durchexerziert anhand
des in »Fackel« 546-550 erschienenen Gedichts »Apokalypse«, das er als
Plagiat an der Offenbarung Johannis »entlarvt«: eine Persiflage auf den
pathetischen Vernichtungsfuror Kraus’. Kulka hätte die »literarische
Mystifikation« in der nächsten Nummer der »Blätter des Burgtheaters«
aufgelöst, wäre nicht der »apostolische Denunzius« mit seinem »Haltet-
den-Dieb!«-Geschrei hineingeplatzt, legt Ehrenstein unter der Kopf-
zeile »Ein Ritualmord« dar. Seine Verteidigung Kulkas ist auch eine
Abrechnung mit seinem einstigen Förderer Kraus. In einem mit Wort-
spielen gespickten Pamphlet – Ehrenstein nennt Kraus unter anderem
den »tüchtigsten Charakterspieler des deutschen Gesinnungstheaters«,
einen »das Argusauge des Gesetzes erfolgreich herbeischeangelnden
Schergen der Privatdetektei ›Die Fackel‹«, »Herr Weltgerichterstatter«
–
führt Ehrenstein, indem er Kraus überspitzt gegen Kraus wendet, minu-
tiös vor, daß von den hundert Zeilen des Gedichts »Apokalypse« ganze
vierzehn als Schöpfung Kraus’ gelten können, der große Rest hingegen
als Plagiat an der Offenbarung Johannis.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieser Schrift, am 3. Oktober
1920, antwortet Kraus mit der vernichtenden Tirade »Die Gefährten«,
wobei er in derselben Nummer der »Fackel« noch einmal über Kulka
sowie in Bausch und Bogen über die gesamte expressionistisch-aktivi-
stische Szene sein Verdammungsurteil spricht. Jahrelang habe er Ehren-
stein »die denkbar ausgiebigste Förderung« angedeihen lassen, selbstlos
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien