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Ehrensteins Lyrik korrigiert, »stumm gezückte Manuskripte stumm
übernommen und durchfrisiert, wiewohl ich wußte, daß ich dem Autor
mit dem Dreck auch einen Teil seiner Eigenart nahm«. Ehrensteins
Schrift über ihn ist für Kraus ein »Bekenntnis von einer untermensch-
lichen Ehrfurchtslosigkeit, wie sie vielleicht noch nie auf Papier exhibi-
tioniert wurde«.40
Worum es dem »Diener am Wort« in der Auseinandersetzung mit den
Expressionisten im Kern ging, erhellt aus den Formulierungen, mit
denen Kraus das – für ihn – verwerfliche Programm dieser Autoren
beschreibt: »Einem aufgelösten Leben mit einer aufgelösten Kunst zu
antworten«;41 »zur neuen Weltordnung durch eine aufgelöste Syntax
führen.«42 Und hinter einer anarchischen, ordnungswidrigen Sprache
ein liederlicher Mensch, weil für Kraus Sprache und Moral unauflöslich
verbunden sind. Die expressionistische Literatur, die »zur Sprache
sich ungefähr wie der Szamuely zum Leben verhält«,43 ist in Kraus’
(Un-)Verständnis ein einziges Vergehen wider die deutsche Literatur-
sprache. Und in der hatte sich Kraus nun einmal eingerichtet – als
Polizist, Ankläger und Richter in Personalunion.
Woraus immer sich der Vernichtungsfuror speist, Tatsache bleibt die
Maßlosigkeit der »Erledigungen«, die nicht in camera caritatis einem
Arbeitsjournal anvertraut werden, sondern auf offener Bühne, in einer
in zwangloser Folge erscheinenden Zeitschrift mit einer Auflage von
zwölf- bis fünfzehntausend Stück exekutiert werden. Wenn Ehrenstein
von einem »infernalischen Mordversuch« an Kulka spricht, der »von
einer blutgierigen Fackel versengt, gebrannt, gebrandmarkt, geschmort,
geröstet« worden sei44, mutet das wie eine zimperliche Übertreibung
an. Die Bannflüche Kraus’ kamen allerdings einer symbolischen Ver-
nichtung derer gleich, die sie trafen. Die waren
– wie Kulka, der nach der
»Erledigung« durch Kraus zum »Literaturdieb«45 abgestempelt war –
stigmatisiert.
Elias Canetti, dem seine ergebene Unterwerfung unter die Meinungs-
und Urteils-»Diktatur« Kraus’ noch Jahrzehnte im nachhinein hörbar
peinlich ist: »Ein Feind von Karl Kraus war ein verwerfliches, ein un-
moralisches Wesen; und wenn ich auch nicht, wie es in späteren Dikta-
turen üblich wurde, an die Ausrottung des vermeintlichen Ungeziefers
ging, so hatte ich doch, ich muß es mit Scham gestehen – […] meine
›Juden‹, Menschen, von denen ich wegsah, wenn ich sie in Lokalen oder
auf der Straße traf, die ich keines Blickes würdigte, deren Schicksal
mich nichts anging, die für mich geächtet und ausgestoßen waren, deren
Berührung mich verunreinigt hätte, die ich allen Ernstes nicht mehr zur
Menschheit zählte: die Opfer und die Feinde von Karl Kraus.«46 Die
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien