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92 überschüttet er den »bis in die Türflügel und auf die Bühne
hinauf gepfropften Saal«48 der Urania mit einer »blitzenden
Masse von Scherz und Satire, von Bildern und Aphorismen«
zum Thema »Sexuelle Revolution«; dabei eine Lanze brechend
für »Individualrevolution […], mit der jeder bei sich selbst an-
fangen müsse und die im Wesen Sexualrevolution sei«; »die deutsche
Machtgier aus dem unterdrückten Sexualleben« erklärend und im
»Preußentum nichts als die inkarnierte homosexuelle Anbetung der
Subordination« sehend.49 – Keine didaktische, gravitätisch-ernsthafte
politische Stellungnahme, sondern »die Rebellion eines feinen Nerven-
systems gegen sinnenfeindliche Kultur-Entartungen«.50
Knapp zwei Wochen darauf trägt er seine Thesen von den »falschen
Anwaltschaften« des Judentums und seine Umdeutung der »Heimat-
losigkeit« in eine kosmopolitische Mission unter dem Titel »Die Tragik
des Judentums« in der Urania vor. In den Ankündigungen seines Auf-
tritts ist unter anderem davon die Rede, daß sich der Vortragsabend
»durch die eigentümliche und freimütige Stellung Kuhs zur Judenfrage
besonders fesselnd gestalten dürfte«.51 Der Saal ist wieder brechend
voll.
Anton Kuh expliziert eine »Art psycho-politischer Auffassung des
Judentums«. Die üblichen Klischees nationaljüdischer wie antisemiti-
scher Einstellungen polemisch verwerfend, erblickt er dessen Tragik
nicht in der geographischen, sondern in der inneren Heimatlosigkeit,
die »den Juden« dazu treibe, »sich, jedesmal mit Leidenschaft, in das
Kleid des Sozialdemokraten, des Deutschnationalen usw. zu werfen.
Die jüdische Tragik wurzelt zu tief in der Mission: den Indivi-
dualismus gegen den Fatalismus zu behaupten«.52 Der anonyme
Rezensent des »Prager Tagblatts« spürt »hinter dem ironischen
Flimmern […] die reinere Flamme des Bekenntnisses«. Die
aufgewühlte Erscheinung des Vortragenden habe das zum Ein-
spruch gegen die im Laufe dieser leidenschaftlichen Konfession
geäußerten provokanten Thesen bereite Publikum davon abgehalten,
Widerspruch laut werden zu lassen. Es habe diesen Eindruck, sichtlich
bewegt, mit nach Hause getragen.53
Daß das ernste Thema weder dem Animo des Vortragenden Abbruch
tut noch der Begeisterung des Publikums, registriert auch Felix Weltsch
in der »Selbstwehr«. Er freut sich, »über einen Vortrag Anton Kuhs
berichten [zu] können, den man mit Recht als einen national-jüdischen
Propagandavortrag bezeichnen könnte, wie er mit solcher Pointiertheit
und Schlagkraft wohl nur selten gehalten worden« sei.54 Was Kuh als
»Sendung« des Judentums postulierte, also die Umdeutung der Exterri-
Prag, Urania,
Großer Saal,
18.12.1919,
19.30 Uhr:
Über Sexual-
revolution
Prag, Urania,
Großer Saal,
30.12.1919,
19.30 Uhr:
Die Tragik des
Judentums
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien