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Mag der Rezensent der »Neuen Berliner Zeitung« – es ist Anton
Kuh – auch mäkeln und nörgeln, das Publikum ist’s jedenfalls zufrie-
den. Von »spontanen Beifallskundgebungen« ist im »Berliner Tage-
blatt« die Rede,67 im »Berliner Börsen-Courier« davon, daß man die
Pointen des »breit ausgesponnenen intellektuellen Redecouplet[s] […]
auf offener Szene beklatschte«.68
Zweieinhalb Wochen nach dem glänzenden Einstand in der Sezession
spricht Kuh, wieder heftig akklamiert von einem ihm angeregt folgenden
Auditorium, im größeren Schubert-Saal in der Bülowstraße über »Die
Tragik des Judentums«. Während die Besprechungen der Tageszeitun-
gen seine Thesen nur referieren,69 setzt sich Robert Weltsch
eingehend mit ihnen auseinander. Er stößt sich aus seiner zio-
nistischen Perspektive an der von Kuh postulierten »Sendung
des Judentums«, »den europäischen Völkern das Chimärische
des Begriffes ›Heimat und Scholle‹ zu beweisen«, als Ausdruck
ebenjener »Selbstverleugnung«, die Kuh dem modernen Judentum pau-
schaliter unterstellt, und wirft ihm Weltfremdheit – »Im realen Leben
wirken Faktoren mit, die mächtiger sind, als es vom grünen Tisch des
Café des Westens den Anschein haben mag« –, Verkennen der prekä-
ren gesellschaftlichen Stellung der Juden vor.70
Belege für seine Thesen von der Puerilität teutscher Mannhaftigkeit,
die ihren verdrängten Sexus in Machthunger, Militärwahn und Bilder-
buchverliebtheit auslebt, sollte Kuh sein Berlin-Aufenthalt Anfang 1920
bis Mitte 1921 zur Genüge liefern. Er wird »Augen- und Ohrenzeuge
dafür, was sich der kleine Moritzl, alias Trogotterl unter Siegfrieds
Ermannung vorstellt«,71 soll heißen des Kapp- resp. Kapp-Lüttwitz-
Putschs, eines vom preußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang
Kapp und Reichswehrgeneral Walther von Lüttwitz angeführten Putsch-
versuchs reaktionärer Militärs gegen die SPD-geführte deutsche Reichs-
regierung und generell gegen die Weimarer Republik, der von 13. bis
17. März 1920 bürgerkriegsähnliche Verhältnisse im Deutschen Reich
schafft. Freikorps-Verbände, die 1919 unter schwarz-weiß-roter Flagge
in Lettland und Litauen gegen ein Vordringen »des Bolschewismus«
auf Ostpreußen im Einsatz waren und sich dabei den Ruf ungemein
brutalen Vorgehens erwarben, sind am Kapp-Putsch führend beteiligt,
etwa die Einheiten Rüdiger Graf von der Goltz’ oder die berüchtigte
Brigade Ehrhardt.
Aus Protest gegen die im Friedensvertrag von Versailles geforderte
Umgestaltung aller deutschen Kadettenanstalten in zivile »Reichs-
bildungsanstalten« randalieren im Mai 1920 die älteren Jahrgänge der
ehemaligen Hauptkadettenanstalt und nunmehrigen Bildungsanstalt
Berlin,
Schubert-Saal,
9.3.1920, 20 Uhr:
Die Tragik des
Judentums
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien