Seite - 97 - in Anton Kuh - Biographie
Bild der Seite - 97 -
Text der Seite - 97 -
97
Großlichterfelde gegen die Anstaltsleitung und fordern ihre Mitschüler
in Flugblättern auf, sich »den guten nationalen deutschen Geist nicht
durch jüdisch-demokratische Erzieher austreiben« zu lassen.
Die Untertöne, die in der im August 1920 von der »Arbeitsgemein-
schaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft e. V.«
angezettelten Kampagne gegen Albert Einsteins Relativitätstheorie
schon vornweg nicht zu überhören sind, arten in den Jahren 1921, 1922
in unverhohlene antisemitische Diffamierung aus.
Organisierte Krawalle und eine Kampagne der nationalkonservativen
und völkisch-nationalistischen Presse gegen den »Reigen« und generell
gegen die »Entsittlichung« und den »zersetzenden jüdischen Einfluß«
begleiten die Aufführungen des skandalisierten Schnitzler-Stücks, das
am 23. Dezember 1920 im von Gertrud Eysoldt und Maximilian Sladek
geleiteten Kleinen Schauspielhaus (dem Saal der Berliner Musikhoch-
schule) uraufgeführt wird
– und das trotz einer einstweiligen Verfügung
des preußischen Kultusministeriums, die sich auf Gerichtsurteile stützt,
denen zufolge »Reigen« eine »unzüchtige Schrift« sei.72
Am 26. April 1920 überfallen mit Stöcken bewaffnete deutschnatio-
nale Studenten die jüdische Mensa in der Alser Straße im 9. Wiener
Gemeindebezirk, verprügeln die Gäste und verwüsten das Lokal. Tags
darauf besetzen mit Knüppeln und Totschlägern bewehrte Couleur-
studenten um 7.30 Uhr die Universitätsrampe, um jüdische Kommilito-
nen am Betreten des Gebäudes und am Besuch der Lehrveranstaltungen
zu hindern. Als um 10.30 Uhr ein Trupp jüdischer und sozialistischer
Studenten sich Zutritt zu verschaffen versucht, trennt ein Kordon be-
rittener Polizei mit blankgezogenem Säbel die Streitparteien. Unter
Absingen des Deutschlandlieds ziehen die Hörer der Hochschule für
Bodenkultur und der Exportakademie, die die Reihen ihrer Gesinnungs-
genossen von der Universität verstärkt haben, in Richtung Währinger
Straße ab, die Hörer der Technik und der Tierärztlichen Hochschule
schmettern beim Abzug über die Ringstraße die »Wacht am Rhein«.
Die Wiener Varietät der Spezies Bartbube vor Augen, ringt sich Kuh
beinah so etwas wie Respekt vor den Berliner Pennälern ab: »Der
Couleurstudent agiert heute wieder mit aktuellerer Lautheit. In Berlin
trägt er das Hakenkreuz und bekennt sich stolz als Kapp-Trabanten –
in Wien demoliert er Suppentöpfe und Küchenbänke. Aber so ehrlich
die Geistesart scheint, so verschieden ist die Berechtigung. / In Deutsch-
land stellt der deutsche Knabe doch ein gutes Stück deutschen Wesens
dar, der deutsche Studiosus immerhin etwas Festes, Hintergründiges, in
Traditionen Verwurzeltes und kommt aus einer Klasse, deren Gegen-
wartsmißvergnügen aus stolzer Vergangenheitsmacht wenigstens er-
zurück zum
Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien