Seite - 102 - in Anton Kuh - Biographie
Bild der Seite - 102 -
Text der Seite - 102 -
102 Reinstes Deutsch vs. beste Mehlspeis –
Anton Kuhs »Prager Herkunft«
Paul Wiegler, von Ende 1908 bis Anfang 1913 Feuilletonchef der »Bohe-
mia«, inzwischen nach Berlin übersiedelt, bespricht Kuhs Auftritt im
Graphischen Kabinett in der »B. Z. am Mittag«, indem er auf Kuhs
»Prager Herkunft« hinweist und ihm einen »Prager Tonfall« attestiert.1
Kuh verwahrt sich dagegen in einer Berichtigung. Anstelle dieser Be-
richtigung erscheint allerdings lediglich eine lakonische Mitteilung des
Wortlauts: »Anton Kuh ersucht uns um Mitteilung, daß er nicht Prager,
sondern Wiener Herkunft sei.«2 Was Kuh wiederum eine Glosse in der
»Bohemia« mit dem Tenor einträgt: »So weit ist es schon mit Prag ge-
kommen. Es wird Zeit, darüber nachzudenken, warum ein Schriftsteller
es für notwendig hält, die Prager Herkunft zu bestreiten.«3 Den histo-
rischen Hintergrund bilden die sogenannten Novemberereignisse
1920: der Sturm aufs Deutsche Haus, die Kaperung des Deutschen
Landestheaters, die Ausschreitungen gegen die Redaktionen des »Pra-
ger Tagblatts« und der »Deutschen Zeitung Bohemia« – eine Situation
jedenfalls, in der Abtrünnige oder vermeintlich Abtrünnige besonders
argwöhnisch beäugt wurden.
Kuh stellt in einer Zuschrift an die »Bohemia« klar: »Hätte [Wiegler]
mich in jenem Sinn als Prager angesprochen, in dem es eine Ehre ist,
Prager zu sein, also etwa Geist vom Geiste Tychos de Brahe, Karls IV.,
Franz Werfels
– es wäre mir nie eingefallen, die imputierte Herkunft zu
verleugnen. / Aber er meinte es in dem Sinne, in dem ich selbst wieder-
holt (wenngleich mit entschiedener Abwehr der Wiener Seichtironie)
die ominöse Widerspiegelung von Intellektualität, Bewegungssucht,
Primus-Ehrgeiz und Hausbackenheit in einem Tonfall festgestellt hatte,
dessen Schwingungsfeld von der Beredtheit bis zur sensiblen Behut-
samkeit reicht.«4
Daß Kuh im übrigen die Etikettierung »Prager« völlig unverkrampft
sieht, erweist sein Umgang mit folgendem pikiertem Rüffel von seiten
der »Bohemia«: »Früher hatte sowohl Prag wie Wien Vorzüge, welche
Lokalpatrioten züchteten. In Prag wurde bekanntlich das reinste Deutsch
gesprochen, während in Wien die besten Mehlspeisen zubereitet wur-
den. Jetzt wird in Prag nicht mehr Deutsch gesprochen und in Wien
werden keine Mehlspeisen mehr gebacken. Der Wohlgeruch des Prager
zurück zum
Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien