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Diese Analyse jüdischer Identitätsbildung deckt sich mit dem in der
expressionistischen Literatur gängigen und dort bisweilen bis auf Blut
ausgefochtenen Kampf zwischen dem rebellischen Sohn und dem auto-
kratischen Vater, in Kuhs Begriffen: im Konflikt zwischen »Revolutio-
när« und »Rentner«. »Der Rentner, das ist bei ihnen: der Vater. Der
Familienträger. Der Staatsmensch. Genauer gesprochen: der mit der
Ursünde und dem geschlechtlichen Besitzgeist Solidarische. / Der Revo-
lutionär, das ist: der Sohn. Der Familienfeind. Der Weltmensch. Er will
Sühnung der Erbschuld und eine Zukunft freier Beziehungswahl.«9
Nicht bloß findet Kuh diese Situation, die verzweifelten Versuche,
sich von der väterlichen Autorität freizustrampeln und den Geruch des
Zwingers abzustreifen,10 im Werk eines mit ihm bekannten Autors
»genial beschrieben«,11 dieser Autor hat sich auch »in einer palimpsest-
artigen Schreibweise« auf Kuhs Texte bezogen, zweifelsfrei nachweisbar
an einzelnen Wendungen und Denkfiguren und bis in einzelne Formu-
lierungen. Der Autor: Franz Kafka; das Werk: »Die Verwandlung«.12
Die Söhne können dem engen »Familiengelaß« allenfalls entspringen,
frei sind sie deshalb noch lange nicht. Der Aktivismus, den sie beim
Sichfreistrampeln entfalten, ist und bleibt: »Überwindung des Papa«.13
Diese verzweifelten Versuche, sich vom Vater abzulösen, scheitern not-
wendigerweise. Kuh spielt dieses Scheitern an drei Reaktionsmustern
durch: Zionismus, Assimilation, Selbsthaß.
Im Zionismus sieht Kuh die Fortsetzung der patriarchalen jüdischen
Familienordnung unter anderen Vorzeichen, ein »Zurück in die warme
Stube!«, einen »Ismus« nach bewährtem Muster, einen »Imitations-
nationalismus«14, der Zionismus trägt ihm zufolge »ein samtenes Patri-
archenkäppchen«.15
Schon im Mai 1918 hatte Kuh in einem »Pogrom« betitelten, in der
Wiener pazifistischen Wochenschrift »Der Friede« veröffentlichten
und von der Zensur verstümmelten Artikel – nachgedruckt und über-
schwenglich eingeleitet von Max Brod in der Prager zionistischen
»Selbstwehr«16 – gegen Assimilation polemisiert, in der er, wie dann
ausführlicher in »Juden und Deutsche«, die »Tragödie«, die »Schuld«
des Judentums in seiner »Selbstverblendung und Selbstbelügung im
Bündnis mit fremden Idealen«17 sieht – jeweils mit fatalem Ausgang:
»und am Ende schlägt man ihnen noch mit einem Axthieb den gebeugten
Nacken durch. Ihres falschen Strebens Lohn ist: der Pogrom.«18
In einem Rückblick auf die Geschichte der »deutsch-jüdischen Ge-
mütsallianz« von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg beschreibt
Kuh in »Juden und Deutsche« die vermeintliche »Befreiung« des Juden-
tums als »Kette falscher Anwaltschaften«19
– ob nun unter der Sigle der
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien