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Max Brod, dessen Rezension mit dem Zwischentitel »Liebeserklä-
rung« und dem Satz »Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich
Anton Kuh maßlos bewundere« anhebt, ist mit dessen Thesen nicht
erst seit dem Prager Vortrag vom 30. Dezember 1919 vertraut, sondern
um einiges länger schon aus persönlichen Gesprächen. Er geht mit einer
souveränen Respektlosigkeit an Kuhs Hypothesen heran und unter-
stellt ihm, wie Elias Hurwicz, politische Naivität: Kuh zeichne das Bild
eines Judentums, das im Radius des »Café Herrenhof« und des »Café
des Westens« lebe, keineswegs das »des« Judentums. Den Hauptvorzug
von »Juden und Deutsche« – »Interessant wie selten ein Buch« – sieht
Brod in der »Abstrafung aller Assimilation«, und er setzt argumentativ
alles daran, die von Kuh postulierte »Sendung« durch die Hintertür sei-
ner, der nationaljüdischen Sache einzugemeinden, ganz im Sinn seines
gleich eingangs seiner Besprechung geäußerten Gesamturteils: »Es ist der
äußerste Versuch, alle Erkenntnisse und Grundgefühle mit den Zioni-
sten gemein zu haben, und – dennoch nicht Zionist zu werden.«41
Wohlmeinende »Fehllektüre« bei Brod – eklatante bei Johannes
Urzidil: Der treibt in seiner Besprechung im »Prager Tagblatt« die von
Kuh angezogene »Familienähnlichkeit« zwischen Juden und Deut-
schen – beide unheilbar mit dem »Fluch der Unnaivität« geschlagen42,
mit der gleichen mythologischen Geschlechtsschuld, mit derselben Fa-
milienmoral beladen, beide lebenslänglich »erotisch verpatzt«43 – so
weit, daß er Kuh, bei dem vom unversöhnlichen Haß zweier Brüder die
Rede ist, geradezu ins Gegenteil verkehrt und den Essay als Versuch
liest, die unüberbrückbare Feindschaft zu applanieren.44
Davor ist der Rezensent der »Reichspost«, des Wiener »Tagblatts für
das christliche Volk«, gefeit: Dem starren aus dem Essay der »gräßliche
Haß und [die] wutverzerrte Fratze« des »Wucherjuden Shylock« ent-
gegen, dieses »unbekehrbaren Hasser[s], Verneiner[s] und Zerstörer[s],
diese[s] Antipoden unseres Wesens, zu dem sich keine Verstandes-, ge-
schweige denn eine Gefühlsbrücke schlagen« lasse. Ein Haß, der unver-
söhnlich und »nur unschädlich zu machen« sei. Geschenkt die »Auslas-
sungen über die politischen, ethischen und sozialen ›Irrwege‹ seiner
Stammesgenossen«, aber etwas derart Abartiges wie das »Charakter-
bild«, das Kuh »von den Deutschen, von dem Deutschtum als solchem«
entwerfe, zum Teil in unflätigen »nicht wiedergebbaren Ausdrücken«,
»dürfte [sich] selbst in der gegenwärtigen Haß- und Karikaturliteratur
der Franzosen« nicht finden. »Alle diejenigen unserer Landsleute, die
von der Inhumanität des Antisemitismus zu reden pflegen«, mögen sich
das zu Gemüte führen, auf daß sie umgehend eines Besseren belehrt
werden.45
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien