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Die rhapsodischen Suaden und gedanklichen Sprünge Kuhs ließen
manchen Tageszeitungsschreiber eher ratlos zurück: Auch wenn er den
forcierten Versuch, »Endgültiges« über Juden und Deutsche zu sagen,
mit dem Satz resümiert: »Und dann – dann kennt man sich nimmer-
mehr aus«, bezeichnet Siegmund Meisels »Juden und Deutsche« als
»das couragierte Buch eines stolzen Juden«.46
Die Rolle des couragierten, stolzen Juden verkörpert Kuh so nach-
drücklich gegen jede Konjunktur, die stramm auf Nationalismus steht,
und so ostentativ, daß er zum Feindbild der antisemitischen Rechten
wird. Max Brod attestiert ihm eine »rückhaltslose Bekennerschaft zum
Judentum«, rechnet ihm hoch an, daß er in »Wiener und Prager Litera-
tenklüngeln und Salons, in denen es bisher verpönt war, das Wort ›Jude‹
auszusprechen (schon um die vielen getauften Juden, die dort verkeh-
ren, nicht zu verstimmen […]), mit der ihm eigenen Ungeniertheit
vielstündige Diskussionen über das Judenproblem [inauguriert], in deren
Verlaufe er (man höre und staune) nicht nur das Wort Jude andauernd
und schwungvoll ausspricht, sondern auch das Wesen des Judentums
als welterlösend bejaht und dem offiziellen Deutschtum allerlei Übles,
zum Beispiel eine gymnasiale Ideologie, vor allem aber den assimilier-
ten Deutschjuden das Allerpeinlichste nachsagt.«47
Nicht bloß spricht Kuh das Wort »Jude« ungeniert aus, er begnügt
sich gar damit – wie er in einer Polemik gegen den Theaterkritiker der
zionistischen »Wiener Morgenzeitung«, Otto Abeles, klarstellt, »Jud«
zu sein. Er (Kuh spricht von sich in der dritten Person) verzichtet auf das
»wehrhaft-pathetische Suffix ›e‹ […], womit die Anhänger des zionisti-
schen Gedankens im Einklang mit übrigen Nationalisten bekräftigen:
daß die Zugehörigkeit zu einer Nationalität eine sehr seriöse Angelegen-
heit ist, wobei es nichts zu lachen gibt
– verstanden? Aber eben um den
Mangel dieses ›e‹ – es ist eigentlich ein breitausklingendes, Akzent tra-
gendes ›ää‹ – [ist] er der natürlichen Blutbewußtheit immer näher«.48
»Von gewissen Menschen möchte man sagen: sie schriftdeutscheln.
Das heißt: sie sprechen die Bildungssprache wie eine Demonstration
gegen den Jargon, der in ihrer Kehle steckt«, so spitzt Kuh das Thema
zu einem »Physiognomik«-Ausspruch zu.49 Wenn er mauschelt, ist das
keine billige Effekthascherei, sondern
– dem »stupiden Antisemitismus
des Gehörs gegen eine gutturale Lautgebung«50 zum Trotz und mit dem
Hans Liebstoecklschen Bonmot »Sehen Sie, das ist der Unterschied
zwischen uns, Herr Nagelstock: ich kann jüdeln und Sie müssen!« als
Programm – ein Bekenntnis.
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien