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vermerkt die »Bohemia« in einer Ankündigung des Vortrags: »Über-
füllung wird durch eine besondere Sitzordnung hintangehalten.«28
Während das Publikum hingerissen ist von seinen reichlich mit Bei-
spielen aus der Literatur illustrierten Ausführungen zum unseligen bür-
gerlichen Dualismus »Geist
– Erotik« sowie zur Anmaßung, mit der das
bürgerliche Gesetzbuch über erotische Angelegenheiten urteilt, und
Ludwig Winder ihm in der »Bohemia« attestiert, daß er »blendend in
der Form« gewesen sei und »sich niemand dem Bann der starken, durch
und durch eigenartigen revolutionären Persönlichkeit entzie-
hen« konnte,29 mäkelt der Rezensent des »Prager Tagblatts«
herum. Er gesteht zwar zu, daß Kuhs Vorträge »trotz schwer-
wiegender Einwände« immer einen »mannigfaltigen subtilen
Reiz« bieten: »Einmal den, daß sie Gelegenheit geben, einem
geistigen Entkleidungsakt beizuwohnen, d. h., zuzusehen, unter
wieviel Schweißverlust und mit welcher Gestikulation jemand coram
publico denkt. Zweitens
– dem Zirkusgenuß nicht unähnlich –: daß sie
den Zuschauer in die hoffnungsvolle Bangnis versetzen, jetzt und jetzt
werde das straff gespannte Seil der Rhetorik reißen und der hoch-
erhabene Sprecher in die Manege plumpsen.« Und auch wenn er sich
auf dem Seil halten kann, bleibe den Hörern immer noch die Genug-
tuung, »daß man im Wege der Improvisation nicht den ›Zarathustra‹
oder die ›Kritik der reinen Vernunft‹ hervorbringen kann und daß
800 geschriebene Seiten Verläßlicheres enthalten als ebensoviel extem-
porierte Worte.«
Eins kann er dem Vortragenden allerdings nicht nachsehen: daß er sich
in der Lobpreisung der Erotik höchst unerotisch gebärdet habe. Einige
sehr grobe und allzu deutliche Ausdrücke habe er verwendet, vor allem
aber habe er lauter gesprochen, als es die, zugegeben, mißliche Akustik
des Urania-Saales erfordert hätte – untrügliches Zeichen dafür, daß er
von dem, was er sagte, überzeugt gewesen sei. Daß der Vortragende
trotzdem sein Publikum so unterhalten habe, wie es sich’s wünschte:
»nämlich mit voller geistiger Rehabilitierung vor sich selber«, könne er
versichern. Und mehr könne man zu Preisen von sieben bis fünfund-
zwanzig Kronen wirklich nicht verlangen. Pikiert hebt der Rezensent
dann noch einmal mahnend den Zeigefinger: »Aber nicht in den Saal
donnern, Herr Kuh! Man donnert über Erotik nicht.«30 – Der Rezen-
sent ist, wieder einmal, Anton Kuh.
Auf Verlangen des Publikums gibt Kuh eine Woche darauf im intime-
ren Rahmen des Mozarteums eine »Zugabe« über »Vergeistigte Liebe«.
Riesenandrang wieder: In den Ankündigungen ist davon die Rede, daß
Kuh auf vielfachen Wunsch entschlossen sei, das acht Tage zuvor bloß
Prag, Urania,
Großer Saal,
13.10.1921,
20 Uhr:
Die Erotik
des Bürgers
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien